Die Vögel

Offensichtlich hat Alfred Hitchcock nach seinem Meisterwerk „Psycho“, das er 1960 abgeliefert hatte, nicht nur Lust am Spiel mit den Erwartungen des Publikums, sondern auch an der Erzeugung von Angst und Schrecken bekommen, denn mit „Die Vögel“ lieferte er drei Jahre später ein ungewöhnliches Werk ab, das schon wie „Psycho“ ohne große Stars wie James Stewart, Montgomery Clift, Henry Fonda oder Cary Grant auskommen musste und das Genre des Tier-Horrors mitbegründete – und das ganz ohne digitale Spezialeffekte.
Die wohlhabende Melanie Daniels (Tippi Hedren) wartet in einer Vogelhandlung in San Francisco auf den Hühnervogel, den sie als Geschenk für ihre Mutter bestellt hat, als sie den selbstbewusst auftretenden Rechtsanwalt Mitch Brenner (Rod Taylor) kennenlernt und seine Annahme, dass sie Verkäuferin in dem Geschäft sei, aufnimmt und ihn in eine Unterhaltung über Vögel verwickelt. Die snobistisch angehauchte Tochter eines Zeitungsverlegers weiß allerdings nicht, dass Mitch sie bereits aus den Klatschspalten der Tagespresse her kennt, wonach sie bei ihrem Aufenthalt in Rom nackt in einen Brunnen gesprungen sein soll. Melanie will sich dafür revanchieren, dass er sie so auflaufen ließ, und will ihn mit zwei Vögeln, die Mitch eigentlich für seine kleine Schwester kaufen wollte, überraschen. An seiner Wohnungstür erfährt sie von Mitchs Nachbarn allerdings, dass Mitch übers Wochenende nach Bodega Bay gefahren ist, weshalb sich auch Melanie auf den Weg macht, in der Poststelle Mitchs Adresse ausfindig macht und durch die Lehrerin Annie Hayworth (Suzanne Pleshette) nicht nur den Namen von Mitchs Schwester erfährt, sondern auch, dass Mitch offensichtlich öfters Frauen aus San Francisco kennenlernt.
Mit einem Leihboot fährt Melanie schließlich zur anderen Seite der Bucht und beobachtet nach dem unbemerkten Abliefern der Vögel im Wohnzimmer vom Boot aus, wie Mitch nach der Entdeckung des Präsents nach ihr Ausschau hält. Als er sie an der Anlegestelle in Bodega Bay in Empfang nehmen will, wird er Zeuge, wie Melanie von einer Möwe angegriffen und verletzt wird. Er versorgt sie und lädt sie zum Abendessen zu sich nach Hause ein, wo Melanie seine Mutter Lydia (Jessica Tandy) und seine Schwester Cathy (Veronica Cartwright) kennenlernt. Während Lydia eher reserviert auf Melanie reagiert, lädt Cathy sie gleich zu ihrer Geburtstagsfeier am folgenden Tag ein, wo ein geballter Angriff der Möwen auf die Geburtstagsgesellschaft für Angst und Schrecken sorgt. Wenig später belagern Krähen die Schule von Bodega Bay und dringen Spatzen in das Heim der Brenners ein …
Bereits 1940 verfilmte Alfred Hitchcock mit „Rebecca“ eine Geschichte von Daphne Du Maurier und feierte damit seinen erfolgreichen Einstand in Hollywood. Die 1952 in dem Sammelband „The Apple Tree“ veröffentlichte Kurzgeschichte „The Birds“ spielte noch in England und wurde als Reaktion auf die deutschen Luftangriffe auf England während des Zweiten Weltkrieges und der Bedrohung durch den Kommunismus interpretiert, wobei die scheinbar grundlos vom Himmel stürzenden Vögel mit den Bomben assoziiert wurden. Drehbuchautor Evan Hunter, der nicht nur unter seinem eigenen Namen, sondern auch unter dem Pseudonym Ed McBain Romane veröffentlichte und vor seinem Engagement für „Die Vögel“ bereits drei Folgen von „Alfred Hitchcock präsentiert“ geschrieben hatte, verlegte das Geschehen vom britischen Cornwall in die San Francisco Bay Area und behielt nur die angreifenden Vögel bei, änderte aber Personen und Dramaturgie.
So scheint der Film als romantische Komödie zu beginnen, denn er nimmt sich viel Zeit, das Kennenlernen der beiden kultivierten, wortgewandten und etwas arrogant wirkenden Hauptfiguren zu schildern, wobei schnippische Bemerkungen und sexuelle Anspielungen mit feinem Humor gewürzt werden. Auch wenn die Vögel mit dem ersten Angriff einer Möwe auf Melanie zunehmend die eigentliche Hauptrolle übernehmen, nehmen sich Hunter und Hitchcock viel Zeit, die wieder mal problematische Beziehung zwischen einem Mann und den übermächtigen Frauen in seinem Leben zu thematisieren. Hier nimmt Mitchs vereinsamte Mutter eine Schlüsselstellung ein, denn nach dem Tod ihres Mannes muss Mitch die eifersüchtig gehütete Rolle des Mannes im Haus übernehmen, so dass jede Frau, die um Mitchs Liebe buhlt, wie eine Bedrohung betrachtet und behandelt wird.
Erst im tragischen Unglück der massiven Vogelangriffe finden die beiden Frauen zueinander und so gewinnt Melanie schließlich auch Mitchs Herz. Hitchcock verzichtet auf eine Erklärung, warum die Vögel so aggressiv agieren, weshalb die Vögel beispielsweise für die Rache einer durch die Menschen ausgebeuteten Natur oder als Symbol für die Störung der intersubjektiven Beziehungen der Protagonisten interpretiert wurden. Die Mutter zweier verängstigter Kinder stellt in dem Film jedenfalls fest, dass die Vögel erst mit Melanies Auftauchen so aggressiv geworden sind.
Auch wenn sich Mitch und Melanie schließlich gefunden haben, scheint die Bedrohung doch kein Ende gefunden zu haben, denn sie bevölkern die Küstenstadt in der letzten Einstellung immer noch. Ganz bewusst verzichtete Hitchcock auf die sonst übliche Einblendung von „The End“.
"Die Vögel" in der IMDb

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