Vertigo - Aus dem Reich der Toten

Auch wenn Hitchcocks „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ (1958) bei seinem Kinostart bei Kritik und Publikum noch nicht so gut ankam und sogar als Unfug bezeichnet wurde, zählt das psychologisch eindringliche Thriller-Drama heute definitiv zu den Schlüsselwerken in der Werksbiografie des Master of Suspense.
Seit der Polizist John „Scottie“ Ferguson (James Stewart) bei der Verfolgung eines Kriminellen über den nächtlichen Dächern von San Francisco abrutschte und einen zu Hilfe eilenden Kollegen dabei beobachten musste, wie er seiner statt in die Tiefe stürzte, hat er den Dienst quittiert und leidet seitdem nicht nur unter Höhenangst, sondern auch unter einem Schuldkomplex. Einzig seine langjährige platonische Freundin, die Werbedesignerin Midge (Barbara Bel Geddes), vermag ihm den nötigen Zuspruch zu verleihen. Als sein alter Schulfreund Gavin Elster (Tom Helmore) ihn darum bittet, seine Ehefrau Madeleine (Kim Novak) zu beschatten, weil sie unter dem Einfluss ihrer verstorbenen Urgroßmutter Carlotta Valdez zu stehen scheint und er Sorge hat, dass sie sich wie Carlotto im Alter von 26 Jahren umbringen könnte, winkt Scottie zunächst ab, doch als er Madeleine beim Abendessen mit ihrem Mann beobachtet, ist sein Interesse an der blonden Schönheit geweckt. Also folgt er Madeleine tagsüber auf ihren Autofahrten durch San Francisco, in die Kunstgalerie, wo sie in Gedanken vor dem Portrait der Toten verweilt, bis hin zu einer spanischen Kapelle weit außerhalb der Stadt. Als sie an der Bucht von San Francisco ins Wasser springt, ist Scottie zum Glück zur Stelle und bringt sie zu sich nach Hause, wo sie sich nicht mehr daran erinnern kann, wie es zu dem Unglück gekommen ist. Scottie verliebt sich in die faszinierende Schönheit und will herausfinden, was es mit ihrer Besessenheit von Carlotta zu tun hat.
Als Madeleine ihm von einem Traum erzählt, in dem das Kloster San Juan Batista eine Rolle spielt, fährt er mit ihr dorthin, wo sie allerdings schnell die Stufen zum Turm hinaufsteigt. Aufgrund seiner Akrophobie kann Scottie ihr nicht rechtzeitig folgen und muss mitansehen, wie ihr Körper von der Turmspitze an ihm vorbei hinunterstürzt. Erneut macht er sich große Vorwürfe, für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein, und wird in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, wo er wegen seiner akuten Melancholie und seines Schuldkomplexes behandelt wird.
Doch nach seiner Entlassung kommt er von Madeleine nicht los und sucht sie bei seinen Streifzügen durch die Stadt, bis er tatsächlich auf eine Frau trifft, die zwar brünettes Haar trägt, aber seiner verstorbenen Geliebten verblüffend ähnlich sieht. Je mehr er Judy Barton (Kim Novak) kennenlernt, desto mehr drängt er sie dazu, sich wie Madeleine zu frisieren und zu kleiden, bis er eine Entdeckung macht, die sein ganzes Leben auf den Kopf stellt …
Für Hitchcock-Kenner war es recht ungewöhnlich, dass Hitchcock die Auflösung des Rätsels um Madeleines letztlich inszenierten Selbstmord und die Intrige von Scotties Schulfreund Gavin – im Gegensatz zur Romanvorlage der beiden Franzosen Pierre Boileau und Thomas Narcejac - schon so früh, nämlich zu Beginn des letzten Filmviertels, preisgibt. Offenbar war Hitchcock der psychologische Aspekt der Geschichte wichtiger, als den von ihm mitgestalteten Konventionen des Spannungs-Kinos zu folgen. In der letzten Zusammenarbeit zwischen Hitchcock und James Stewart wirkt Stewarts Charakter zu Beginn ebenso lädiert wie der von ihm gespielte Pressefotograf Jeff, und so wie Jeff so von den Ereignissen in der Nachbarschaft fasziniert war, dass er den Problemen seiner Beziehung zur bezaubernden Lisa aus dem Weg ging, ist Scottie zwar nicht wie Jeff im Rollstuhl gefangen, dafür aber in seiner Höhenangst und in der Besessenheit von Madeleine, die auch durch die häufige Verwendung der Farbe Grün zum Ausdruck kommt. Das Immergrün der Mammutbäume, die Scottie und Madeleine eines Tages bestaunen, spiegelt sich nicht nur in der ersten Begegnung zwischen Scottie und Madeleine wider, als sie ein grünes Kleid trägt, auch fährt sie einen grünen Wagen und ist ihr Gesicht von grünem Licht erleuchtet, als sie sich für Scottie von Judy zu Madeleine zurückverwandelt.
„Vertigo“ (was den medizinischen Fachausdruck für das Schwindelgefühl bezeichnet, das einen Akrophobiker beim Blick in die Tiefe befällt) handelt also in mehrerer Hinsicht von der Besessenheit und die Liebe über den Tod hinaus und wird sowohl durch den hypnotischen Score von Bernard Herrmann als auch geschickt eingesetzte filmische Mittel wie Spiegel, Farbfilter und die Streckung der perspektivischen Tiefe meisterhaft unterstützt.
"Vertigo - Aus dem Reich der Toten" in der IMDb

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