Familiengrab

Nachdem er den Psychothriller „Frenzy“ (1972) in seiner alten britischen Heimat realisiert hatte und noch einmal seine Meisterschaft unter Beweis stellte, kehrte Alfred Hitchcock mit seinem 53. und letzten Film „Familiengrab“ (1976) nicht nur nach Hollywood zurück, sondern auch zum Genre der Krimi-Komödie, zu dem er zuletzt mit „Immer Ärger mit Harry“ (1955) einen unterhaltsamen Beitrag geleistet hatte.
Die über achtzigjährige, wohlhabende Julia Rainbird (Cathleen Nesbitt) will vor ihrem Tod mit ihrem Gewissen ins Reine kommen, nachdem sie vor vielen Jahren ihre inzwischen verstorbene Schwester dazu gedrängt hatte, ihren unehelichen Sohn zur Adoption freizugeben, um die Familienehre nicht zu beschmutzen. Um den verschollenen Neffen aufzuspüren, der Anspruch auf das Familienerbe hat, engagiert die betagte Frau die junge Spiritistin Blanche Tyler (Barbara Harris) und stellt ihr eine Erfolgsprämie von zehntausend Dollar in Aussicht, nicht ahnend, dass das vermeintliche Medium seine in den Sitzungen verlautbarten Erkenntnisse nicht aus dem Jenseits verdankt, sondern ihrem Freund, dem Taxifahrer George Lumley (Bruce Dern), der sich nebenbei auch als Ermittler betätigt. Lumley gibt sich mal als Anwalt, mal als Privatdetektiv aus, um die gesuchte Person ausfindig zu machen, und stößt nach einigen frustrierenden Rückschlägen letztlich doch auf einen Namen, der das kleinkriminelle Paar zum Juwelier Arthur Adamson (William Devane) und dessen Freundin Fran (Karen Black) führt. Doch hinter der schicken Fassade verbirgt sich auch hier ein Gangster-Pärchen, das sich darauf spezialisiert hat, vermögende Menschen zu entführen, in ihrem perfekt getarnten Kellerraum zu verwahren und wertvolle Diamanten zu erpressen …
Nach einem Drehbuch von Ernest Lehman („Der unsichtbare Dritte“), der sich der Romanvorlage von Victor Canning bediente, hat Alfred Hitchcock zum Abschluss seiner Karriere die ungewöhnliche Geschichte zweier Gaunerpärchen inszeniert, die sich zwar ganz zu Anfang (als Fran mit blonder Perücke die Straße überquert, auf der Blanche und George gerade von Mrs. Rainbird nach Hause fahren) und zum Schluss kreuzen, aber davon abgesehen parallel erzählt werden.
Dabei hat Hitchcock offensichtlich viel Freude daran gehabt, vier ganz unterschiedliche Charaktere als Gauner zu präsentieren und ihre Jagd nach dem schnellen Geld mit Raffinesse zu persiflieren. Während der Originaltitel „Family Plot“ sowohl auf eine Familiengeschichte als auch -intrige hindeutet, verweist der deutsche Titel vor allem auf das leere Grab und die Vertuschung der Identität von Julia Rainbirds verschwundenen Neffen. Doch nicht nur das leere Grab ruft Reminiszenzen an Hitchcocks „Immer Ärger mit Harry“ wach, auch die fälschlichen Annahmen, die die beiden Gangsterpärchen übereinander anstellen, zeugen von Hitchcocks anhaltender Lust, mit den Erwartungen des Publikums ebenso zu spielen wie mit den Schicksalen seiner Figuren.
Dabei überzeugt Barbara Harris („Peggy Sue hat geheiratet“, „Grosse Pointe Blank: Ein Mann - Ein Mord“) als sexbesessene Pseudo-Spiritistin ebenso wie Bruce Dern („Nebraska“, „The Hateful 8“) als ihr ständig unzufriedener Freund, der sich zu Größerem berufen fühlt, aber ständig an Jobs festhängt, die ihn nicht weiterbringen. Besonders köstlich ist die Szene, in der Blanche und George nach einem verpatzten Treffen mit einem Informanten mit dem Auto eine Serpentinenstraße hinabfahren und George feststellen muss, dass die Bremsen nicht mehr funktionieren, worauf Blanche mit Armen und Beinen wild herumfuchtelt, während George doppelt gehandicapt versucht, dem Gegenverkehr auszuweichen und mit dem Wagen nicht in den Abgrund zu stürzen.
Aber auch Karen Black („Landhaus der toten Seelen“, „Das Haus der 1000 Leichen“) und William Devane („Der Marathon-Mann“, „Space Cowboys“) sorgen als überaus gewieftes Edel-Gauner-Paar für einige großartige Momente, zu denen auch das Versteck der ergaunerten Diamanten in dem hässlichen Kronleuchter ihres Hauses – quasi vor aller Augen – zählt.
Die farbenfrohe Kameraarbeit von Leonard L. South („Hängt ihn höher“, „Marnie“) und der melodische Score des damals noch jungen John Williams („Star Wars“, „Indiana Jones“) machen „Familiengrab“ zu einem augenzwinkernden Gauner-Spaß, bei dem Hitchcock noch mal recht viele Kniffe seiner erfolgreichen Karriere anwenden durfte. Die Arbeit an „The Short Night“, einem Film über den britischen Spion George Blake, musste Hitchcock wegen seiner sich verschlechternden Gesundheit aufgeben, bevor er am 29. April 1980 verstarb.
"Familiengrab" in der IMDb

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