Cocktail für eine Leiche

Bereits mit „Das Rettungsboot“ (1944) hatte Alfred Hitchcock einen Film an nur einem Set gedreht, mit seinem ersten in Technicolor gedrehten Werk „Cocktail für eine Leiche“ (1948) setzte Hitchcock seine Experimentierfreudigkeit fort und wollte seine Geschichte, die auf dem 1929 uraufgeführten Theaterstück „Rope’s End“ von Patrick Hamilton basiert, nicht nur an einem einzigen Schauplatz erzählen, sondern auch an einem Stück drehen. Es war zudem die erste Zusammenarbeit zwischen Hitchcock und James Stewart, mit dem der Meisterregisseur auch noch „Das Fenster zum Hof“ (1954), „Der Mann, der zu viel wusste“ (1956) und „Vertigo“ (1958) realisieren sollte.
Indem die beiden Harvard-Studenten Brandon (John Dall) und Phillip (Farley Granger) ihren Kommilitonen David Kentley (Dick Hogan) ermorden, verwirklichen sie nicht nur die in den Vorlesungen ihres Professors Rupert Cadell (James Stewart) geäußerte Theorie, dass intellektuell höher stehende Menschen jedes Recht hätten, einfältige, nichtsnutzige Menschen zu töten, sondern wollen auch beweisen, dass sie den perfekten Mord ausüben können.
Um ihr Kunstwerk zu vollenden, verstauen sie die Leiche in einer zuvor leer geräumten Büchertruhe und veranstalten eine Cocktail-Party in ihrem New Yorker Apartment, wobei ihre Haushälterin Mrs. Wilson (Edith Evanson) das Buffet nicht auf dem dafür vorgesehenen Tisch im Esszimmer anrichtet, sondern auf der Truhe, die mit zwei Kerzen und einer Tischdecke dekoriert wird. Als Gäste treffen zunächst Brandons, Davids und Phillips Kommilitone Kenneth Lawrence (Douglas Dick), Davids Verlobte und zuvor mit Kenneth liierte Janet Walker (Joan Chandler) ein, dann Davids Vater (Cedric Hardwicke) mit seiner aufgedrehten Schwägerin Mrs. Atwater (Constance Collier) und schließlich Professor Cadell.
Nur David taucht einfach nicht auf. Während Brandon jede Frage nach ihm galant überspielt, betäubt Phillip seine wachsende Nervosität mit Alkohol. Als Cadell von Brandon zunehmend mit Fragen nach dem perfekten Mord bedrängt wird, schöpft er einen schrecklichen Verdacht …
Die Frage nach dem perfekten Mord beschäftigte Hitchcock auch noch in „Der Fremde im Zug“ (1951) und „Bei Anruf Mord!“ (1954), aber in „Cocktail für eine Leiche“ ging es dem Filmemacher vor allem darum, den Zuschauer wie bei einem Theaterstück unmittelbar in das Geschehen miteinzubeziehen und so die Gefühle der einzelnen Figuren so intensiv wie möglich mitzuerleben, weshalb er den Film in acht langen Szenen à zehn Minuten, was der jeweiligen Länge einer Filmrolle entspricht, ohne Schnitte realisierte. Die Übergänge von Filmrolle zu Filmrolle hat er dadurch kaschiert, dass beispielsweise die Rückseite eines Jacketts das Bild ausfüllte. Doch nicht nur die besonderen formalen Gegebenheiten einer Theaterproduktion reizten den Filmemacher, auch die Tatsache, dass ein homosexuelles Paar den perfekten Mord plant, sorgte für eine Herausforderung, denn wegen der Zensur in Hollywood musste die britische Bühnenvorlage entsprechend angepasst werden, dass Brandon und Phillip nur noch wie Freunde und nicht wie ein Liebespaar wirken.
Der andere thematische Schwerpunkt liegt in Nietzsches Theorie des „Übermenschen”, die Cadell in seiner Philosophie-Vorlesung allerdings nur als theoretisches Konstrukt verstanden wissen lassen wollte, während Brandon die Theorie wörtlich nimmt und als gerechtfertigtes Motiv für einen Mord eines über der Gesellschaft stehendes Individuum an einem niederen Menschen verteidigt, womit er nicht nur bei Cadell, sondern auch bei Davids Vater auf Unverständnis stößt.
„Cocktail für eine Leiche” fasziniert nicht nur durch die ungewöhnliche Thematik und die außergewöhnliche filmische Umsetzung im Stil eines Theaterstücks, sondern auch durch die packende Dramaturgie, in der Brandon immer überheblicher wird und genüsslich den kaltblütigen Mord als makabre Party feiert, während Phillip unter der nervlichen Anspannung zunehmend zerbricht. Allerdings wäre der Film, wie auch Drehbuchautor Arthur Laurent in der Dokumentation „Rope entfesselt” anmerkte, spannender ausgefallen, wenn Hitchcock auf die nachträglich eingebaute Mordszene zu Anfang verzichtet hätte, so dass das Publikum bis zum Schluss nicht wissen würde, ob sich in der Truhe tatsächlich eine Leiche befindet oder nicht.
Davon abgesehen bietet „Rope” (der doppeldeutige Titel bezieht sich auf den Strick, der erst zur Mordwaffe, dann zum Zusammenschnüren eines Bücherstapels verwendet wird, aber auch zum sprichwörtlichen Strick wird, den sich Brandon durch sein selbstgefälliges Verhalten selbst dreht) ein mit feinem Humor und Sarkasmus gewürztes Krimi-Drama mit überzeugenden Darstellern in einer experimentellen Inszenierung.
"Cocktail für eine Leiche" in der IMDb

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