Über den Dächern von Nizza

Direkt nach seinen beiden auf engstem Raum gedrehten Spannungsmeisterwerken „Bei Anruf Mord“ (1954) und „Das Fenster zum Hof“ (1955) inszenierte Alfred Hitchcock mit „Über den Dächern von Nizza“ eine mit zwei seiner Lieblingsstars – Grace Kelly und Cary Grant – besetzte Thriller-Romanze, die vor der malerischen Kulisse der französischen Riviera weniger Spannung, dafür aber den teils recht halbherzigen Kampf eines berüchtigten Juwelendiebes gegen zwei besitzergreifende Frauen präsentiert und das bei Hitchcock vertraute Motiv der doppelten Verfolgung aufgreift.
Nach einer Reihe von aufsehenerregenden Juwelendiebstählen an der französischen Riviera wird der einst berüchtigte Meisterdieb John „Die Katze“ Robie (Cary Grant) von der Polizei verdächtigt, da die Art und Weise der Diebstähle Robies Methode haargenau kopiert. Robie entzieht sich einem polizeilichen Verhör durch Flucht aus seiner Villa oberhalb von Cannes und sieht nur eine Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen: Um den wahren Täter zu überführen, wendet er sich an seinen früheren Mitstreiter, den Betreiber des Küstenrestaurants Bertani (Charles Vanel), der ihm die nötigen Informationen über die nächsten potentiellen Opfer besorgen soll, denn Robie ist fest davon überzeugt, dass ein so gerissener Dieb auch nur durch einen Dieb auf frischer Tat ertappt werden kann. Da auch die Polizei bei Bertani auftaucht, verhilft ihm Danielle (Brigitte Auber), die Tochter des Weinstewards Foussard (Jean Martinelli), zur Flucht in den Beach Club, bevor Bertani „Die Katze“ an den Agenten der Londoner Lloyds-Versicherung Hughson (John Williams) verweist, der in seinem Restaurant bereits Erkundigungen eingezogen hat und ihn mit der wohlhabenden Witwe Mrs. Stevens (Jessie Royce Landis) und ihrer attraktiven Tochter Frances (Grace Kelly) bekanntmacht. Nach einem gemeinsamen Abend im Casino begleitet Robie Frances zur Tür ihres Zimmers, wo sie ihn zum Abschied küsst. Während sowohl Danielle als auch Frances um Robies Gunst buhlen, erwarten alle Beteiligten, dass der Juwelenräuber auf einem Kostümfest zuschlägt. Sowohl die Polizei, als auch Hughson und Robie bringen sich in Stellung …
Bereits in „Das Fenster zum Hof“ verkörperte Grace Kelly die selbstbewusste, wohlhabende Frau, die mit allen Mitteln versucht, das Objekt ihrer Begierde an sich zu binden. In „Über den Dächern von Nizza“ geht Hitchcock sogar noch einen Schritt weiter und lässt gleich zwei Frauen um den charismatischen, doch auch schwächlichen ehemaligen Juwelendieb Robie kämpfen. Wie Robert Donat in „Die 39 Stufen“ oder Robert Cummings in „Saboteure“ verkörpert Cary Grant in „Über den Dächern von Nizza“ einen unschuldig Verdächtigten, der auf eigene Faust seine Weste reinzuwaschen versucht und dabei in das Netz zweier unterschiedlicher, aber jeweils sehr willensstarker Frauen gerät.
Während die junge Danielle aber auf wenig Gegenliebe bei Robie stößt, wirken die Ambitionen der Millionärstochter Frances vielversprechender. So gerät die Frage nach dem wirklichen Täter fast schon in den Hintergrund, und Hitchcock verwendet viel Mühe darauf, eines seiner Lieblingsthemen auszugestalten, wenn er der romantischen Liebe einige Dämpfer versetzt. Denn selbst das Happy End kommt mit einem Wermutstropfen, der Robies bisher so ruhiges Leben mächtig durcheinanderbringen wird. Doch bis dahin wartet die Thriller-Romanze mit etlichen (sexuellen) Doppeldeutigkeiten auf, die dem Film den eigentlichen Esprit verleihen. Bereits der Titel verweist zum einen auf Robies Überzeugung, dass nur ein Dieb einen Dieb fangen könne, zum anderen auf die geschickte Art, wie Frances Robie einfängt.
Vor allem die Szene in ihrer Hotelsuite, als sich Frances und Robie vor dem Hintergrund eines in allen Farben strahlendes Feuerwerk näherkommen, versprüht eine bei Hitchcock zuvor selten so deutlich inszenierte sexuelle Energie. Aus dem beim ersten Kennenlernen im kühlen Blau gekleideten Stockfisch ist nun eine raffinierte Verführerin geworden, der sich Robie nicht mehr entziehen kann. Auch wenn ihm bewusst ist, dass Frances an einer echten Beziehung kein Interesse hat, sondern ihr nur daran gelegen, selbst einen Dieb einzufangen, hat er ihr nichts entgegenzusetzen. Wie hilflos Robie ihr ausgeliefert ist, wird auch bei einer rasanten Autofahrt in Frances‘ Cabrio deutlich, wenn sie den Sportwagen mit locker das Lenkrad führenden Händen auf Touren bringt und Robie seine Hände verkrampft an seinen Oberschenkeln festkrallt.
„Über den Dächern von Nizza“ überzeugt so vor allem als gewitztes Spiel der Doppeldeutigkeiten, mit dem Hitchcock den zwischen 1934 und 1967 in Hollywood geltenden Hays Code (oder Production Code) zu umgehen versuchte, mit dem die Einhaltung der gängigen Moralvorstellungen und die Zulässigkeit der Darstellung von Kriminalität, Gewalt und Sexualität im Film sichergestellt werden sollte.
"Über den Dächern von Nizza" in der IMDb

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