Escape at Dannemora

Bislang war US-Star Ben Stiller sowohl als Schauspieler als auch Regisseur auf Komödien wie „Zoolander“ und „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ abonniert. Nun legt er mit „Escape at Dannemora“ eine Fernseh-Mini-Serie vor, die auf wahren Begebenheiten beruht, nämlich auf die Flucht von zwei zu lebenslanger Haft verurteilter Krimineller aus einem Hochsicherheitsgefängnis im Sommer 2015, wobei sie Unterstützung durch eine Aufseherin erhielten. Das zunächst auf Sky ausgestrahlte True-Crime-Gefängnis-Drama ist nun über Universal auch auf DVD erhältlich.
Wie so viele träumen auch die Zellennachbarn Richard Matt (Benicio Del Toro) und David Sweat (Paul Dano) davon, aus der Hochsicherheitsverwahrung der Clinton Correction Facility in Dannemora, New York, zu fliehen und ihren lebenslangen Gefängnisaufenthalt mit einem Leben in Freiheit, wahlweise an einem Strand in Mexiko oder in den Bergen von Kanada, einzutauschen. Der Traum rückt in greifbare Nähe, als David Sweat, der wegen des Mordes an einem Polizisten verurteilt worden ist, eine Affäre mit seiner Aufseherin Tilly Mitchell (Patricia Arquette) in der Nähwerkstatt beginnt, in der sowohl er selbst als auch sein Freund Matt arbeiten. Als Sweat zwischenzeitlich verlegt wird, übernimmt Matt seine Rolle für den Quickie im Materiallager.
Geschickt lenkt Matt die Geschäfte im Gefängnis, bekommt von dem Wärter Gene Palmer (David Morse) Farben und Leinwand, malt dafür Bilder sowohl für ihn als auch Tilly und darf so auch um weitere Gefälligkeiten bitten. So schmuggelt Tilly über Palmer Metallsägen in Hackfleischpackungen in Matts Zelle, so dass Sweat über Wochen nachts erst ein Schlupfloch aus der Zelle in den Abluftkanal sägt und dann einen Weg nach draußen findet. Tilly, die sich in der Ehe mit ihrem Kollegen Lyle (Eric Lange) langweilt und von einem aufregenderen Leben träumt, begibt sich in eine gefährliche, nicht nur sexuelle Abhängigkeit von den beiden Straftätern und muss nach dem erfolgreichen Ausbruch von Matt und Sweat der Generalinspektorin Catherine Leahy Scott (Bonnie Hunt) Rede und Antwort stehen …
Ben Stiller hat „Escape at Dannemora“ nach dem gleichnamigen Sachbuch-Bestseller von Michael Benson verfilmt, der zusammen mit Michael Tolkin („The Player“, „Spurwechsel“) auch als Showrunner der Mini-Serie fungierte, und legt in den acht Folgen sehr viel Wert auf die akribische Darstellung der Ereignisse. In langen Einstellungen bildet er sowohl den tristen Gefängnisalltag zu Beginn des Jahres 2015 als auch den ebenso öden Alltag der aufgeschwemmten Mittfünfzigerin Tilly mit ihrem irgendwie geistig gehandicapt wirkenden Ehemann ab, so dass bereits in den Anfangsszenen deutlich wird, dass sich Tillys Arbeitsalltag im Gefängnis auch in den eigenen vier Wänden fortsetzt.
Ihren Traum von einem besseren, aufregenderen Leben wird sie vielleicht nicht verwirklichen können, aber die Affären mit den Gefängnisinsassen Sweat und Matt verleihen ihrem eintönigen Leben doch einen reizvollen Kick. Stiller legt keinen Wert darauf, den Konventionen des Genres zu folgen und besondere Spannungen aufzubauen. Denn mit dem eröffnenden Verhör, das die Generalinspekteurin mit Tilly führt, macht deutlich, dass der Ausbruch von Matt und Sweat gelungen ist. Ihm geht es vielmehr darum, die persönlichen Beziehungen zwischen Sweat, Matt und Tilly zu sezieren und so aufzuzeigen, wie der spektakuläre Ausbruch gelingen konnte.
Benicio Del Toro („Traffic – Die Macht des Kartells“, „Sicario“) überzeugt dabei als besonnener Drahtzieher mit künstlerischem Talent, der als älterer Mentor für Sweat fungiert und sowohl den Wärter Palmer als auch Tilly um den Finger zu wickeln versteht. Paul Dano („Prisoners“, „Love & Mercy“) darf seine Rolle vielschichtiger anlegen. Sein Sweat versprüht den Charme, um die Aufseherin Tilly emotional an sich zu binden, ordnet sich einerseits völlig seinem Mentor unter und verrichtet für ihn nachts wochenlang die Drecksarbeit, demonstriert aber immer wieder auch sein Gewaltpotential und seine Geradlinigkeit, wenn er nach dem Ausbruch Richtung und Tempo vorgibt, während sich sein Partner Matt lieber einen Rausch ansäuft. Die stärkste Performance liefert aber fraglos Patricia Arquette („Lost Highway“, „Boyhood“) ab, die einerseits mit Mut zur Hässlichkeit und wilder sexueller Entschlossenheit gesegnet ist, andererseits aber mit weinerlicher Stimme ihr Schicksal beklagt und dabei erstaunlich naiv wirkt.
Da die eigentliche Handlung schnell erzählt ist, widmet sich Stiller lieber der Charakterisierung seiner Figuren und des Milieus, das letztlich das Scheitern des Amerikanischen Traums symbolisiert. In der chronologischen Erzählung, bei der zunächst jede Folge einen Monat abbildet, fällt nur die sechste Folge aus dem Rahmen, die den Alltag eines Streifenpolizisten beschreibt, der später mit Matt und Sweat eine bemerkenswerte Begegnung haben wird, und einen Blick auf die frühere Beziehung von Tilly wirft.
Abgesehen von dieser Folge und einigen Längen in der durchweg sehr düsteren Inszenierung stellt „Escape at Dannemora“ ein psychologisch vielschichtiges Gefängnis-Drama dar, das durch seine herausragenden Darsteller und eine durchdachte, realistische Inszenierung überzeugt.
"Escape at Dannemora" in der IMDb

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