Der Mann, der zuviel wusste (1956)

Nach der Thriller-Romanze „Über den Dächern von Nizza“ und der Krimi-Komödie „Immer Ärger mit Harry“ (beide 1955) kehrte Alfred Hitchcock mit seinem nächsten Film „Der Mann, der zuviel wusste“ (1956) nicht nur zum Suspense-Kino zurück, sondern auch zu einem bereits über zwanzig Jahre zuvor von ihm realisierten Spionage-Thriller, den er noch zu seiner Zeit in Großbritannien in Schwarz-Weiß gedreht hatte. Für Hitchcock war die Geschichte jedoch so interessant, dass er sie nach seinem Durchbruch in Hollywood noch einmal mit den Stars James Stewart und Doris Day perfektionierte. Für ihn war die erste Version, wie er im Interview mit François Truffaut bekannte, der Film eines Amateurs, die zweite Arbeit die eines Profis.
Nachdem der US-amerikanische Chirurg Ben McKenna (James Stewart) in Paris einen medizinischen Kongress besucht hat, nimmt er die günstige Gelegenheit wahr, mit seiner Frau Jo (Doris Day) und ihrem gemeinsamen Sohn Hank (Christopher Olsen) ein paar Tage Urlaub in Marokko zu verbringen, wo Ben eine Zeitlang im Zweiten Weltkrieg stationiert gewesen war. Im Bus von Casablanca nach Marrakesch kommt es allerdings schon zu einem Zwischenfall, bei dem ihnen der Franzose Louis Bernard (Daniel Gélin) aus der Klemme hilft. In Marrakesch verabreden sich die McKennas mit dem neugierigen Mann zum Abendessen, doch sagt Bernard kurz vorher ab, so dass die McKennas stattdessen den Abend mit dem englischen Ehepaar Drayton (Brenda de Banzie und Bernard Miles) verbringen, die im selben Hotel untergebracht sind und Jo als frühere Star-Sängerin wiedererkennen. Am folgenden Tag verbringen die beiden Familien gemeinsam auf dem Markt in Marrakesch, wo sie beobachten, wie ein Mann von der Polizei verfolgt wird. Wenig später bricht ein Mann mit einem Messer im Rücken in Bens Armen zusammen und flüstert ihm kurz vor seinem Tod noch zu, dass ein Staatsmann in London ermordet werden soll, außerdem den Namen Ambrose Chapel.
Während Mr. Drayton die McKennas zum Polizeipräsidium begleitet, nimmt Mrs. Drayton den kleinen Hank mit zurück ins Hotel. Doch bevor Ben den zuständigen Kommissar über die Ereignisse informieren kann, erhält er einen Anruf, dass er seinen Sohn nicht lebend wiedersehen würde, sollte er etwas ausplaudern. Tatsächlich ist Mrs. Drayton im Hotel nicht gesehen worden, ihr Mann bereits abgereist. Um das Leben ihres Sohnes nicht zu gefährden, reisen Ben und Jo nach London und machen sich auf die Suche nach Ambrose Chapel. In der so benannten Kirche treffen die McKennas die Draytons wieder und erfahren außerdem, dass bei einem Konzert in der Albert Hall ein ausländischer Premierminister ermordet werden soll …
Es wird schnell deutlich, warum Alfred Hitchcock der Film so sehr am Herzen lag, behandelt er doch eines seiner Lieblingsthemen, nämlich die Konfrontation ganz gewöhnlicher Menschen mit Mord, Lügen, Täuschung und Verrat. Um dem Remake eine frische Note zu verleihen, verbot Hitchcock seinem Drehbuchautoren John Michael Hays (mit dem er bereits erfolgreich an „Das Fenster zum Hof“, „Über den Dächern von Nizza“ und „Immer Ärger mit Harry“ zusammengearbeitet hatte), den ursprünglichen Film zu sehen bzw. das Drehbuch dazu zu lesen, und wies ihn an, nur aufgrund der ursprünglichen Story von Charles Bennett und Hitchcocks eigenen Ausführungen dazu das neue Drehbuch zu schreiben. So wurde die Ausgangssituation von St. Moritz ins exotische Marrakesch verlegt, auch einige Szenen und Personen wurden verändert bzw. ausgeschmückt, aber die grundlegende Story und vor allem das packende Finale in der Albert Hall blieben gleich.
Ähnlich wie in „Das Fenster zum Hof“ erweist sich Hitchcock hier als Meister darin, den Zuschauer zum Komplizen zu machen und mitanzusehen, wie das amerikanische Durchschnittsehepaar mit der Ausnahmesituation umgehen wird, entweder ihr Kind oder einen internationalen Staatsmann zu retten. Während Jo noch die Wahl hatte, ihre internationale Bühnenkarriere gegen ein Leben mit einem Arzt in der Kleinstadt einzutauschen, werden die McKennas nicht nur gezwungen, sich den Sitten in einer ihr fremden Kultur anzupassen, sondern auch den Forderungen der Entführer ihres Sohnes zu beugen.
James Stewart war einmal mehr die perfekte Besetzung als männliche Identifikationsfigur für den amerikanischen Kinogänger, aber auch Doris Day überzeugte die Kritiker. Schließlich war sie zuvor nur als Sängerin bekannt gewesen, weshalb sie in dem Film auch den eigens dafür komponierten Song „Que sera, sera“ vortragen musste, der dem Film nicht nur seinen einzigen Oscar einbrachte, sondern auch zum populärsten Song von Doris Day avancieren sollte. Die Musik spielt auch in der abschließenden Sequenz in der Albert Hall eine große Bedeutung, wenn Bernard Herrmann Arthur Benjamins „Storm Clouds Cantata“ dirigiert. Hier demonstriert Hitchcock einmal mehr, wie er auf unnachahmliche Weise nur mit der Kamera und der Musik Spannung erzeugt und auf dem Gesicht der völlig verängstigten Jo die Angst spürbar werden lässt. Bei allem Thrill spart Hitchcock aber auch nicht mit seinem typischen Humor, so dass der Zuschauer immer wieder zwischen exotischer Kulisse und Heimat, zwischen Lachen und lähmender Furcht hin- und hergeschubst wird.
"Der Mann, der zuviel wusste" in der IMDb

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