Parasite

Der südkoreanische Filmemacher Bong Joon-ho hat bereits in seinem hochkarätig mit Ed Harris, Tilda Swinton, John Hurt und Chris Evans besetzten Science-Fiction-Thriller-Drama „Snowpiercer“ (2013) eine besondere Szenerie für den von ihm thematisierten Klassenkampf gefunden, indem er die Abteile eines futuristischen Zuges in soziale Klassen einteilte. Für seinen neuen Film „Parasite“, der bei der diesjährigen Oscar-Verleihung überraschend u.a. als bester Film prämiert wurde und damit hochgehandelte Kandidaten wie „Joker“, „1917“ und „Once Upon a Time in ... Hollywood“ ausstach, findet Joon-ho weniger fremdartige Bilder, sondern lässt Arm und Reich im Hier und Jetzt auf ebenso unterhaltsame wie sozialkritische Weise aufeinanderprallen.
Seit Ki-taek Kim (Kang-ho Song) und seine Frau Chung-sook (Hyae Jin Chang) arbeitslos sind, kommen sie und ihre beiden Teenager-Kinder Ki-woo (Woo-sik Choi) und Ki-jung (So-dam Park) mehr schlecht als recht über die Runden. Sie hausen in einem heruntergekommenen Keller, müssen beobachten, wie Betrunkene vor ihrem Fenster auf Höhe der Straße urinieren und sich übergeben, müssen für das Anzapfen freier WLAN-Zugänge einen abgelegenen Winkel auf der Toilette aufsuchen, wo sie über WhatsApp erfahren, dass sie wenigstens einen schlecht bezahlten Job zum Zusammenfalten von Pizza-Kartons ergattert haben. Wenigstens bekommt Ki-woo durch seinen bereits studierenden und wohlhabenderen Freund einen Aushilfsjob als Englisch-Nachhilfelehrer für die Tochter einer schwerreichen Familie. Ki-woo überzeugt die ebenso naive wie überdrehte Yeon-kyo Park (Yeo-Jeong Cho) von seinen Fähigkeiten und schafft es, auch seine künstlerisch begabte Schwester in der Familie Park einzuschleusen – als Kunsttherapeutin für den offensichtlich hochtalentierten, aber traumatisierten Sohn der Parks. Nun müssen nur noch die Eltern bei den ahnungslosen Villenbewohnern untergebracht werden …
Bong Joon-ho („Memories of Murder“, „The Host“), der auch das ebenfalls Oscar-prämierte Drehbuch zu „Parasite“ verantwortlich zeichnet, lässt sich viel Zeit, um die unmenschlichen Verhältnisse zu schildern, in denen die vierköpfige Familie Kim ihr Leben bestreiten muss, wo selbst die städtische Desinfektionsbestäubung auf den Straßen willkommen geheißen wird, weil der stinkende Qualm – hoffentlich - auch das Ungeziefer in den Räumen der gelittenen Familie vertreibt. Wie stark die Schere zwischen Arm und Reich schließlich auseinanderklappt, wird sofort deutlich, als Ki-woo erstmals die hochgesicherte, weiträumige und klinisch reine Villa in den Hügeln von Seoul betritt. Während Mr. Park (Sun-kyun Lee) als innovativer Ingenieur massenhaft Geld verdient, muss sich seine hübsche, aber sonst vollkommen nutzlose Frau um nichts weiter kümmern, als ihre Haushälterin, die schon der Familie des Vorbesitzers gedient hat, zu instruieren und sich um die bestmögliche Betreuung und Förderung ihrer Kinder zu kümmern. Bei einer so einfältigen Frau haben die durch die Entbehrungen ihres noch jungen Lebens gestählten Kim-Zöglinge leichtes Spiel. Das wird vor allem bei dem Engagement von Ki-woos Schwester deutlich, die sich als Studentin für Kunsttherapie ausgibt und durch ihr bei Google kurz angeeignetes „Fachwissen“ mächtig Eindruck bei Mrs. Park schindet. Doch das ist nur der Anfang einer ganzen Reihe von teils recht durchtriebenen, parasitären Vorgehensweisen, mit denen die Kims die reiche Park-Familie infiltrieren.
Was „Parasite“ aber so unterhaltsam macht, ist nicht nur die abgebrühte Cleverness, mit der die Armen sich in die Festung der Reichen einschmeicheln, sondern der Wechsel im Ton der Erzählung. Was anfangs vor allem satirische Züge trägt, wird zu einer überraschend rabiaten Auseinandersetzung, von der nicht nur die Parks völlig überrollt werden. In dieser sich zuspitzenden Situation wartet Joon-ho mit immer wieder neuen überraschenden Wendungen auf, die aus dem sozialkritischen Satire einen blutigen Klassenkampf machen. Dafür findet Kameramann Kyung-pyo Hong („Snowpiercer“, „Burning“) immer die passenden Bilder, wobei die beengten Lebensumstände der Kim-Familie in dreckigen Gelb- und Grüntönen eingefangen werden, während die weitläufigen Räume in der Park-Villa wie leuchtende, durchstrukturierte Panoramen wirken, in denen sich die Figuren wie Fremdkörper bewegen. Auch wenn „Parasite“ vielleicht nicht der (Oscar-prämierte) beste Film des Jahres 2019 ist, so ist er doch ein emotional vielschichtiges und gesellschaftspolitisch aufwühlendes Thriller-Drama geworden, das lange nachwirkt und in dem die Reichen vordergründig gar nicht als so als unsympathisch dargestellt werden. Hier sind es wunderbar inszenierte Kleinigkeiten, die schließlich auch den Kims die Augen öffnen, mit wem sie es wirklich zu tun haben.
"Parasite" in der IMDb

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