Leichen unter brennender Sonne

Es ist eine erstaunliche Entwicklung, die das französisch-belgische Filmemacher-Duo Hélène Cattet und Bruno Forzani in gerade mal drei Spielfilmen durchgemacht haben. Nach ihrem vor allem visuell überzeugenden, den Giallo-Meistern Dario Argento und Mario Bava huldigenden Debüt „Amer – Die dunkle Seite deiner Träume“ (2009) und dem zumindest rudimentär mit einer Story ausgestatteten Exzess „Der Tod weint rote Tränen“ (2013) beweisen Cattet und Forzani in „Leichen unter brennender Sonne“ (2017), der losen Adaption des Romans „Laissez Bronzer Les Cadavres“ (1971) von Jean-Patrick Manchette und Jean-Pierre Bastid, dass sie ihre außergewöhnlichen filmischen Mittel auch auf einen mehr oder minder nachvollziehbaren Plot anwenden können, auch wenn sie dabei wenig Neues hervorzaubern.
Die Malerin Luce (Elina Löwensohn) und ihr Ex-Lover, der ausgebrannte Schriftsteller Max Bernier (Marc Barbé), verbringen ihr ausgesprochen entspanntes Leben in einer auf dem Hügel liegenden Burgruine auf Korsika, wo sie früher wilde Orgien feierten, nun aber meist im Delirium die Zeit totschlagen. Die unspektakuläre Ruhe wird aber durch den mittlerweile bei ihnen lebenden Gangster Rhino (Stéphane Ferrara) empfindlich gestört, als er mit seinen Kumpanen Gros und Alex einen Gold-Transporter überfallen hat. Nach der blutigen Schießerei können die drei Gangster eine Beute von 250 Kilo an Goldbarren ihr eigen nennen, doch auf der Flucht lassen sie es sich nicht nehmen, eine vor ihrem Mann flüchtende Frau, ihren Sohn und das Kindermädchen aufzulesen. Durch die entstandene Verzögerung gelingt es zwei in schwarzes Leder gekleidete Polizisten auf Motorrädern, die Verfolgung aufzunehmen und die Verbrecher an der Ruine in ein Feuergefecht zu verwickeln, das bis zum Morgengrauen andauert …
Nachdem sich Hélène Cattet und Bruno Forzani in ihren vorangegangenen Kurz- und Langfilmen vor allem der Elemente des Giallo-Genres bedient haben, jenes Subgenres des italienischen Kriminalfilms, in dem detaillierte Mordszenen mit erotischen Bildern auf extrem stilisierte Weise miteinander verknüpft wurden, erzählen sie in ihrem dritten Werk „Leichen unter brennender Sonne“ erstmals eine zusammenhängende Geschichte, die auf dem sehr kurzen, aber brutalen Krimi-Debüt der Franzosen Manchette und Bastid beruht, von den Filmemachern aber nochmals verschlankt worden ist. Schließlich geht es dem Regie-Duo weniger um den Inhalt als die Form, denn nach dem erfolgreichen Raubzug verdichtet sich die Story einzig auf die nicht enden wollende Schießerei an dem idyllisch gelegenen, von der Sonne verwöhnten Ort, an dem das Märchen eines unbekümmerten Lebens zur tödlichen Hölle verwandelt wird.
Cattet und Forzani bedienen sich dabei bereits exzessiv vertrauter Elemente, verbinden Schweiß und Blut und Tränen zu einer fiebrigen Mixtur, in der sich Nahaufnahmen von um sich blickenden Augen neben aufreizenden Bildern von nackter Haut und Detailaufnahmen von Kugeln reihen, die zerstörerische Wunden reißen. Dabei geht ihnen in der zweiten Filmhälfte aber spürbar die Luft aus. In der zunehmend surrealistisch anmutenden Collage aus bunten Bildern und eindringlichen Klangmalereien werden immer neue Extreme inszeniert, die bald an hypnotisierender Kraft einbüßen, weil sie sich totlaufen und wenig Neues bieten.
Dennoch ist „Leichen unter brennender Sonne“ als Hommage an den Italo-Western und den harten italienischen Polizeifilm wieder geschickt mit ausgewählter Musik von Ennio Morricone („Chi l’ha vista morire?“, „Giornata nera per l’ariete“, „Faccia a Faccia“), Stelvio Cipriani („La Morte Cammina Con I Tacchi Alti“) und Nico Fidenco („Zombie Holocaust“) untermalt und hebt sich durch seine nach wie vor einzigartige Verwendung experimenteller filmische Mittel wohltuend von Mainstream-Produktionen ab. Zusammen mit „Amer“ und „Der Tod weint rote Tränen“ ist „Leichen unter brennender Sonne“ mit vier Kurzfilmen und einem 76-seitigen Booklet in dem Blu-ray-Mediabook „Das Triptychon des Todes“ von Koch Media enthalten.
"Leichen unter brennender Sonne" in der IMDb

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