Das Reich der Sonne

Mit der elffach Oscar-nominierten Bestsellerverfilmung von Alice Walkers „Die Farbe Lila“ (1985) hat Steven Spielberg sich definitiv als ernsthafter Filmemacher etabliert, der nicht nur in der Welt des optimistischen Filmmärchens („Unheimliche Begegnung der dritten Art“, „E.T. – Der Außerirdische“) und des Mainstream-Abenteuers („Indiana Jones“) zuhause ist, sondern auch menschliche Dramen einfühlsam zu inszenieren verstand. Zwar konnte Spielberg mit der Adaption von J.G. Ballards („Crash“) düsteren und halb biographischen Romans „Das Reich der Sonne“ (1987) nicht an den Erfolg seines überraschenden Blockbuster-Erfolgs mit „Die Farbe Lila“ anknüpfen, trotzdem ist ihm damit ein wunderbares Kriegsdrama gelungen, das auf die späteren Meisterwerke „Der Soldat James Ryan“ und „Schindlers Liste“ bereits hinweist.
Der elfjährige Jim (Christian Bale) lebt 1941 mit seinen Eltern Mary (Emily Richard) und John Graham (Rupert Frazer) im britischen Viertel der bedeutenden chinesischen Hafenstadt Shanghai und genießt als Mitglied einer wohlhabenden Familie ein unbeschwertes Dasein mit chinesischen Bediensteten. Vor allem die Fliegerei hat es dem aufgeweckten Jungen angetan. So kann er jeden Flugzeugtyp anhand seiner Silhouette am Himmel erkennen, wobei er besonders von den japanischen Zeros fasziniert ist, deren Piloten als besonders tapfer gelten. Als sich der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg zuspitzt und sich die japanischen Flieger über Shanghai mehren, sind die Grahams gezwungen, vor den Japanern zu fliehen, doch auf dem Weg zum Hafen verlieren sich Jim und seine Eltern im Menschenstrom aus den Augen, nachdem seine Mutter Jim noch zurufen konnte, dass er nach Hause zurückkehren soll. Doch dort sind die wenigen Vorräte bald verbraucht, Langeweile macht sich breit, das luxuriöse Anwesen wird schließlich von Plünderern heimgesucht. Auf der Suche nach Nahrung lernt Jim den Amerikaner Basie (John Malkovich) und dessen Kumpel Frank (Joe Pantoliano) kennen, die ihn zunächst verkaufen wollen, aber schnell erkennen, dass der flinke Junge durchaus nützlich für sie sein kann.
Als sie von den Japanern in ein Gefangenenlager gebracht werden, beginnt ein tagtäglicher Kampf ums Überleben. Doch Basie bringt Jim schnell bei, wie er unter diesen Umständen an Essen und andere Dinge besorgen kann, die das Leben erträglicher machen …
James G. Ballard schrieb den semi-autobiographischen Roman über seine Zeit in einem japanischen Zivilgefangenenlager, in das er als Elfjähriger interniert worden war und wo er bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blieb, erst 1984, worauf der britische Dramatiker Tom Stoppard („Brazil“, „Shakespeare In Love“) ein Drehbuch verfasste, das Spielberg teilweise an Original-Schauplätzen in Shanghai inszenierte, womit der Film die erste Hollywood-Produktion ist, das eine Drehgenehmigung für China erhielt. Indem Spielberg die Geschichte einzig aus der Perspektive des Jungen erzählt, werden die realen Lebensbedingungen und die kriegerischen Zusammenhänge kaum sichtbar gemacht. Für den elfjährigen Jim handelt es sich bei dem Krieg nur um ein Spiel. Ihn kümmert es nicht, für welche Seite die Flieger am Himmel unterwegs sind. Und als ein japanisches Kriegsschiff im Hafen von Shanghai Lichtzeichen aussendet, antwortet Jim vom Fenster aus mit seiner Taschenlampe, bis das Schiff das Feuer eröffnet und Jim seinen Eltern erschrocken versichert, dass er das nicht gewollt habe.
Der Krieg stellt für Jim zunächst ein faszinierender Spielplatz dar, und Jim stellt sich sehr clever an, sich die Regeln anzueignen, lernt sogar schnell ein paar japanische Brocken und Gesten, mit denen er das Wohlwollen der Besatzer gewinnt. Seine Hoffnung geht eher dahin, dass Jim von Basie unter die Fittiche genommen wird, dass der Matrose der amerikanischen Zivilschifffahrt ihn mit nach Amerika nimmt, als dass er seine Eltern wiedersieht, an die er sich nicht mehr erinnern kann, wie er eines Tages bestürzt feststellen muss. Wie sehr Spielberg hier die von Magie geprägte Fantasie des Kindes mit der brutalen Wirklichkeit des Krieges zusammenprallen lässt, macht er mit einigen berührenden Szenen deutlich. So ist Jim felsenfest davon überzeugt, dass er einen getöteten Piloten mit seiner Herzmassage wieder ins Leben zurückholen kann. Schließlich hat er gerade gesehen, wie Gott ein Foto von der Erde macht, und somit magische Kräfte erhalten. Tatsächlich hat Jim beobachtet, wie die Atombombe über Nagasaki explodiert ist …
Man mag Spielberg vorwerfen, dass er die Schrecknisse des Krieges zu sehr verkitscht und keine wirkliche Botschaft vermittelt, doch indem er die Geschichte allein aus der Perspektive des Jungen erzählt, ergibt der wunderschön von Allen Daviau („Fearless – Jenseits der Angst“, „Bugsy“, „Die Farbe Lila“) fotografierte und sehr lyrisch von John Williams musikalisch begleitete Film absolut Sinn. Schade, dass der Film trotz sechs Oscar-Nominierungen (für Ausstattung, Filmmusik, Kamera, Kostüme, Schnitt und Ton) wie schon „Die Farbe Lila“ bei den Academy Awards leer ausging. Eine Offenbarung ist aber der junge Christian Bale („American Psycho“, „The Dark Knight“) in der Hauptrolle, der sehr überzeugend die Rolle eines wohlbehüteten Kindes verkörpert, der plötzlich mit einer lebensbedrohlichen Situation konfrontiert wird und dabei nie die Hoffnung verliert.
Aber auch John Malkovich („In the Line of Fire“, „Gefährliche Liebschaften“) überzeugt als Mann, der andere Menschen für seine Zwecke zu instrumentalisieren versteht.
"Das Reich der Sonne" in der IMDb

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