Nach einer wahren Geschichte

Seit Roman Polanski Mitte der 1950er Jahre schon mit einigen Kurzfilmen seine Karriere als Regisseur in Angriff genommen hatte, inszenierte er über die Jahrzehnte so bemerkenswerte Filme wie „Rosemaries Baby“ (1968), „Chinatown“ (1974), „Der Mieter“ (1976), „Frantic“ (1988) und „Der Pianist“ (2002), doch in den letzten Jahren ist es wesentlich ruhiger um den mittlerweile 86-jährigen Filmemacher geworden. Nachdem er 2011 mit „Der Gott des Gemetzels“ und zwei Jahre später mit „Venus im Pelz“ zwei Theaterstücke für die Leinwand adaptierte, wirkt auch sein letzter Film „Nach einer wahren Geschichte“ (2017) wie ein kammerspielartiges Bühnenstück, das allerdings recht überraschungsarm ausgefallen ist.
Die ohnehin privat sehr zurückgezogen lebende Schriftstellerin Delphine de Vigan (Emmanuelle Seigner) hat sich durch ihren autobiografischen und sehr erfolgreichen Roman noch mehr isoliert. Denn nicht nur die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Familie in ihrem Bestseller hat ihr nachhaltig zugesetzt, auch die anonymen Briefe, in denen ihr vorgeworfen wird, ihre Familie mit der im Roman geschilderten Geschichte verraten und verkauft zu haben, zermürbt sie sichtlich. So muss sie eine Signierstunde entkräftet abbrechen, bevor eine mysteriöse Fremde namens Elle (Eva Green), die sich als Delphines größter Fan vorstellt, ihren Signierwunsch zum Ausdruck bringt.
Auf einer anschließenden Party begegnen sich Delphine und Elle in der Küche wieder und kommen bei einem Glas Wodka ins Gespräch. Auf einmal hat Delphine das Gefühl, endlich jemanden gefunden zu haben, dem sie sich anvertrauen kann. Als ihr Freund François (Vincent Perez) für mehrere Wochen in die USA reisen muss, um sich mit verschiedenen Autoren zu treffen, bietet ihr Elle den nötigen Halt, um endlich die Arbeit an einem neuen Buch zu beginnen. Doch der anfänglichen Euphorie folgt schnell die Ernüchterung.
Ihren ersten Entwurf schmettert Elle, die selbst als Ghostwriterin tätig ist, als zu belanglos ab. Delphine verfällt immer mehr in Selbstzweifel und baut auch körperlich immer mehr ab, so dass sie dankbar Elles Unterstützung bei der Erledigung von Anfragen annimmt und sie sogar bei sich einziehen lässt. Doch je mehr sich Delphine in die Abhängigkeit ihrer neuen Freundin begibt, umso mehr schlüpft Elle tatsächlich in die Rolle der Schriftstellerin und reagiert eifersüchtig auf alles, was Delphine nach wie vor in Eigenregie zu regeln versucht …
Regie-Veteran Roman Polanski hat das auf dem gleichnamigen Roman von Delphine de Vigan basierende Drehbuch gemeinsam mit seinem Kollegen Olivier Assayas („Carlos – Der Schakal“, „Die wilde Zeit“) verfasst und ein fast kammerspielartiges Psychogramm zweier Frauen inszeniert, die in eine immer engere Abhängigkeit zueinander geraten. Interessanterweise thematisiert „Nach einer wahren Geschichte“ darüber hinaus aber auch die Probleme des kreativen Schaffensprozesses. Im Zentrum steht dabei die nuanciert von Emmanuelle Seigner („Frantic“, „Die neun Pforten“) gespielte Schriftstellerin, die nach der Verarbeitung ihrer persönlichen Geschichte in eine tiefe Krise stürzt – angetrieben durch die anonymen Briefe, die ihr einen Verrat an der eigenen Familie vorwerfen. Im Gegensatz dazu ist Elle zwar im gleichen Metier unterwegs, doch schreibt sie als Ghostwriterin stets die Geschichten anderer Persönlichkeiten nieder, ohne ihre eigene Identität ins Spiel zu bringen. Ihre sich steigernde Identifikation mit Delphine macht aber auch deutlich, dass sie ihre eigene Identität eher dadurch definiert, dass sie sich die Persönlichkeit anderer Menschen einverleibt. Selbst Delphines Freund François ist im Literaturmarkt tätig, aber auf einer rein geschäftlichen Ebene, doch als ausgleichendes Moment in der immer dramatischeren Beziehung zwischen Delphine und Elle taugt er nicht. Schließlich ist er die meiste Zeit außer Landes. So konzentriert sich der Plot ganz auf die psychischen Effekte, die die beiden Frauen aufeinander ausüben, wobei das Drama immerhin deutlich macht, wie Elle ihr großes Idol zusehends von ihr abhängig macht und daraus selbst ihre Stärke speist. Doch wirklich packend ist „Nach einer wahren Geschichte“ nicht inszeniert. Allzu vorhersehbar wird die Geschichte abgespult, ohne dabei in visueller Hinsicht Akzente zu setzen. Polanski konzentriert sich ganz auf seine beiden Hauptfiguren, wobei es ihm immerhin gelingt, Seigner ebenso kaputt, fiebrig, ausgehöhlt, verschwitzt und ausgekotzt zu präsentieren wie Eva Green („Die Träumer“, „Penny Dreadful“) als kühl kalkulierende Giftmischerin, wobei ihr schauspielerisch weit weniger abverlangt wird wie der Französin. So bleibt „Nach einer wahren Geschichte“ ein eher uninspiriert gesponnenes Psychodrama über die Schwierigkeiten, als AutorIn sich selbst in eine Geschichte einzubringen und damit etwas Unverwechselbaren zu kreieren.
"Nach einer wahren Geschichte" in der IMDb

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