Amer - Die dunkle Seite deiner Träume

Seit Mario Bava Anfang der 1960er Jahre mit seinen Filmen „La Ragazza che sapeva troppo“ und „Blutige Seide“ das Subgenre des Giallo-Thrillers begründete, das sich mit seinen einfach gestrickten, aber ästhetisch eigenwillig inszenierten Whodunit-Plots von den Edgar-Wallace-Filmen inspirieren ließ und selbst wiederum das spätere Genre des Splatter-Horrors prägen sollte, haben vor allem Filmemacher wie Dario Argento („Suspiria“, „Dämonen“) und Sergio Martino („Der Tod sagt Amen“, „Alle Farben der Nacht“) an der Erfolgsgeschichte der italienischen Untergattung des Kriminalfilms mitgewirkt. Sie haben auch deutliche Spuren im Werk des französisch-belgischen Regie-Duos Hélène Cattet und Bruno Forzani hinterlassen, die 2009 nach einigen Kurzfilmen mit „Amer – Die dunkle Seite deiner Träume“ ihr Kinodebüt präsentierten, das nun mit ihren beiden nachfolgenden Werken „Der Tod weint rote Tränen“ und „Leichen unter brennender Sonne“ von Koch Media in dem aufwendig gestalteten Blu-ray-Mediabook als „Das Triptychon des Todes“ zusammengefasst wird.
Im Kindesalter erlebt Ana (Cassandra Forêt) in dem großen Landsitz ihrer Familie verwirrende Erfahrungen mit dem Tod und der Sexualität. Da ihre Mutter (Biancamaria D'Amato) oft gereizt ist, versteckt sich Ana meist irgendwo im Haus und beobachtet durch das Schlüsselloch der Türen, wie sich die Erwachsenen miteinander unterhalten oder miteinander schlafen. Der kürzlich verstorbene Großvater wird in einem Zimmer aufgebahrt und öffnet plötzlich die Augen, als Ana ihm die Uhr abnimmt. Schließlich wird das Mädchen von einer schwarz gekleideten Person von hinten gepackt. Als junges Mädchen begleitet Ana (Charlotte Eugène-Guibbaud) ihre Mutter auf einem Spaziergang ins Dorf, wo sich die Mutter ihre angegrauten Haare färben lässt und Ana die begierigen Blicke der Männer auf sich spürt. Als Erwachsene kehrt Ana (Marie Bos) schließlich in das verlassene Haus ihrer Familie zurück und wird mit den Geistern der Vergangenheit konfrontiert.
Bruno Forzani ist, seit er als Kind auf Dario Argentos „Tenebre – Der kalte Hauch des Todes“ (1982) aufmerksam geworden ist und seine Filme für sich entdeckt hat, war er ebenso wie seine Regie-Partnerin Hélène Cattet von der Mischung aus erotischer Spannung und ausschweifend-barockartigen Mordszenen fasziniert, die sich schließlich auch in ihrem eigenen Debütfilm „Amer“ wiederfindet. Der in drei Akte aufgeteilte Film enthält keine wirkliche Handlung, sondern thematisiert die drei Entwicklungsstadien vom Kind über ein junges Mädchen zur vollreifen Frau. Cattet und Forzani verbinden diesen Prozess des sexuellen Erwachens mit einer eindrucksvollen Bildsprache und Klangkulisse, die Dialoge und eine musikalische Untermalung überflüssig machen. Stattdessen verwenden die Filmemacher einen geschickt geschnittenen Wechsel von leuchtenden Primärfarben, lassen schwarz gekleidete Gestalten als tödliche Bedrohung durch die Szenen wandeln und assoziieren durch sinnliches wie schmerzvolles Stöhnen die Nähe von Schmerz und Lust, Tod und Sex.
Dabei legen die Regisseure Wert darauf, dem Zuschauer keine vorgefertigten Tableaus vorzulegen, sondern die oftmals aufreizenden, als Close-ups und Nahaufnahmen in Zeitlupe inszenierten Bilder offen für die Phantasien des Betrachters zu lassen, so wie Anas berauschende Phantasien die Ästhetik des Films bestimmen. Erst zum Ende hin wird es Giallo-mäßig blutig, wenn das obligatorische Rasiermesser in einer mit schwarzem Lederhandschuh bekleideten Hand ihr schauriges Werk verrichtet. Aber auch hier regiert die Form über die Handlung. Das Grauen wird in den blaugetränkten Detailaufnahmen schon wieder abstrakt, so wie das Lüften des Minikleids beim Spaziergang, das leichte Öffnen der vollen Lippen, die Erkundung des eigenen Körpers in der Badewanne zu sinnlichen Phantasien anregt.
Mit „Amer – Die dunkle Seite deiner Träume“ haben Cattet und Forzani einen akustisch-visuell berauschenden Alptraum geschaffen, der in bunten Primärfarben Blut, Schweiß und Tränen vereint.
Als Bonus-Material sind auch einige Kurzfilme der beiden Filmemacher enthalten, die auf die spätere Meisterschaft in ihren Kinofilmen hinweisen. Ausführliche Infos zu ihrem Werk präsentiert auch das 76-seitige Booklet.
"Amer - Die dunkle Seite deiner Träume" in der IMDb

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