Inception
Seit Christopher Nolan mit „Batman Begins“ (2005), „The Dark Knight“ (2008) und „The Dark Knight Rises“ (2012) dem „Batman“-Franchise die längst überfällige Frischzellen-Kur verpasst und so dem Genre des Superhelden-Films ganz neue Perspektiven aufgezeigt hat, scheint Nolan bei Warner Bros. über einen Freifahrtschein für seine äußerst ambitionierten Projekte zu verfügen. So war es ihm 2010 endlich möglich, sein schon lange geplantes, aber bislang finanziell nicht umsetzbares, thematisch ambitioniertes „Inception“-Projekt umzusetzen. Mit Leonardo DiCaprio hat er dafür auch noch einen Hollywood-Star gewinnen können, der auch das Mainstream-Publikum in die Kinos ziehen würde.
Nachdem das US-Militär ein Verfahren entwickelt hat, Träume nichtsahnender Personen zu beeinflussen, haben es Dominick Cobb (Leonardo DiCaprio) und seine Frau Mal (Marion Cotillard) zur Meisterschaft darin gebracht, nicht nur Mitwirkende in den Träumen der Zielpersonen zu sein, sondern auch ganze Traumwelten zu erschaffen und zu kontrollieren. Doch einmal führte dieses Verfahren zu einer tödlichen Katastrophe: Als Cobb und seine Frau aus einem Traum erwachten, dachte Mal, sie befinde sich nach wie vor in einem Traum, und stürzte sich - in dem Glauben, in der Realität aufzuwachen - von einem Fenstersims eines Hochhauses in den Tod, da bekannt ist, dass man im Traum nicht stirbt, sondern in diesem Moment aufwacht. Um ihren Mann zu zwingen, es ihr gleichzutun, ließ Mal den Selbstmord so aussehen, als sei er für ihren Tod verantwortlich.
Cobb hat sich seitdem auf die Extraktion spezialisiert, das Eindringen in die Träume von Menschen, um ihnen dort geheimste Gedanken zu stehlen und sie an zahlungswillige Auftraggeber zu verkaufen. Als er bei dem Industriellen Saito (Ken Watanabe) an seiner Aufgabe scheitert, zwingt er ihn zu einem besonders heiklen Coup: Cobb soll bei dem Konzern-Erben Fischer (Cillian Murphy) eine sogenannte Inception durchführen, also einen Gedanken in Fischers Traumwelt einpflanzen, der Saito einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Als Belohnung würde Cobb wieder nach Amerika zurückkehren dürfen, wo seine beiden Kinder leben, aber auch wegen des Mordes an seiner Frau gesucht wird.
Cobb nimmt die Herausforderung an und schart ein Team von Spezialisten um sich. Arthur (Joseph Gordon-Levitt) koordiniert die Abläufe, Ariadne (Ellen Page) konstruiert als Architektin die Traumwelten, Eames (Tom Hardy) kann als Fälscher im Traum jede beliebige Person kopieren, während Yusuf (Dileep Rao) als Apotheker den Betäubungscocktail anrührt, der die Truppe in die Traumphase schickt. Saito besteht darauf, als Traum-Tourist die Mission zu begleiten.
Als Cobb die talentierte Architektur-Studentin bei gemeinsamen Ausflügen in Traumwelten über die Möglichkeiten der Inception aufklärt, erfährt Ariadne nicht nur, dass Cobbs Frau immer wieder unkontrolliert in Cobbs Projektionen auftaucht, sondern wie groß auch die Gefahr ist, aus tiefen Traumebenen nicht mehr aufwachen zu können. Hier bedienen sich die Traum-Manipulatoren eines sogenannten „Kicks“. Dazu ist ein freier Fall ebenso geeignet wie kaltes Wasser. Als Fisher von Sydney nach Los Angeles reisen muss, legt Cobbs Team, dass Fischer seinen Privatjet nicht nutzen kann, sondern mit einem Linienflugzeug fliegen muss. Hier wird Fischer sediert und mittels einer Apparatur mit Saito und Cobbs‘ Truppe verknüpft. Doch Fisher entpuppt sich als mental geschult und setzt sich mit einer im Traum engagierten Privatarmee gegen die Angreifer zur Wehr, wobei Saito schwer verletzt wird. Nun soll Fischers Patenonkel Peter Browning (Tom Berenger) dafür sorgen, Fischer davon zu überzeugen, dass sein im Sterben liegender Vater (Pete Postlethwaite) ein zweites, geheimes Testament hinterlegt habe. Doch um an das Testament zu kommen, müssen sie Fischer in tiefere Traumebenen führen…
Kritik:
Auch wenn das Spiel mit Traumwelten kein neues Thema im Kino ist, findet Christopher Nolan mit „Inception“ einen neuen Zugang zu den faszinierenden Überlegungen, wie die menschlichen Träume funktionieren und wie sie – ähnlich wie die bewusste Wahrnehmung - manipuliert werden können. Der Filmemacher, der wie gewohnt auch für das Drehbuch der komplexen Geschichte verantwortlich zeichnet, nimmt sich in seinem zweieinhalbstündigen Action-Drama genügend Zeit, seinem neu geformten „Inception“-Team und damit auch dem Publikum die Möglichkeiten, Besonderheiten und Gefahren der Manipulation von Träumen anschaulich zu erläutern.
Als Cobb die junge Ariadne in ein geträumtes Paris mitnimmt, demonstriert die angehende Architektin ihr Talent und stellt ganze Straßenzüge auf den Kopf und sorgt mit riesigen klappbaren Spiegeln für faszinierende visuelle Dopplungen. Im Traum scheint alles möglich, und so entfesselt Nolan seine überbordende Fantasie, spielt geschickt mit der Zeit, die in der Realität und in den verschiedenen Traumebenen jeweils unterschiedlich schnell vergeht, lässt auch den Zuschauer immer wieder im Unklaren, was nun Traum und Realität ist. Statt sich jedoch mit visuellen Effektheischereien auszutoben, bleibt Nolan doch immer an seinen Figuren interessiert. Hier bildet der tragische Tod von Mal und Cobbs daraus resultierenden Schuldgefühle das emotionale Gerüst der Geschichte, wobei Mal durchaus die Rolle einer Femme fatale einnimmt.
Wally Pfister, der seit „Memento“ Nolans Stamm-Kameramann gewesen ist, schafft atemberaubende Bilder, die von Edith Piafs klassischen Chanson „Non, je ne regrette rien“ als musikalisches Leitmotiv ebenso durchdrungen werden wie Hans Zimmers daran anknüpfenden, dröhnenden, aber letztlich minimalistischen wie hypnotischen Score.
Darüber hinaus überzeugt „Inception“ auch in darstellerischer Hinsicht. Leonardo DiCaprio („Der große Gatsby“, „The Aviator“) verkörpert Cobb als raffinierten Manipulator mit verletzlicher Seite. Zusammen mit Marion Cotillard („Die Frau im Mond“, „Allied: Vertraute Fremde“) bildet er das emotionale Herzstück des Films, aber auch Cillian Murphy, Ken Watanabe, Joseph Gordon-Levitt, Ellen Page und Tom Hardy fügen sich wunderbar in das Ensemble ein.
Christopher Nolan ist mit „Inception“ ein visuell berauschendes Meisterwerk gelungen, das man in seiner komplexen Struktur nicht völlig durchdringen muss, um es genießen zu können.
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