Tenet
Dass Christopher Nolan ein begnadeter Filmemacher ist, hat er nicht erst mit seiner grandiosen „The Dark Knight“-Trilogie bewiesen, die Batman wieder zu einer ernstzunehmenden Figur im Comic-Helden-Universum gemacht hat, sondern bereits mit seinem zweiten Spielfilm „Memento“ (2000), in dem der Protagonist auf der Suche nach dem Mörder seiner Frau damit zu kämpfen hat, sein Kurzzeitgedächtnis verloren zu haben. Mit seinem Meisterwerk „Inception“ (2010) thematisierte Nolan auf visuell berauschende Weise die Welt des Unterbewusstsein und der Träume. Zehn Jahre später präsentierte er mit „Tenet“ erneut einen philosophisch komplexen Geniestreich, der seine Figuren teilweise gleichzeitig vorwärts und rückwärts durch die Zeit bewegen lässt.
Inhalt:
Als sich ein Trupp von vier CIA-Agenten bei einem Terroranschlag auf die Kiewer Oper als Angehörige der ukrainischen Spezialeinheit KORD tarnt, gerät einer von ihnen (John David Washington) in die Gewalt russischer Söldner und wird gefoltert. Bevor er allerdings in die Verlegenheit zu reden kommt, schluckt er eine Selbstmordkapsel, die allerdings nicht wie erwartet zum Tod des Agenten führt. Vielmehr hat der namenlose Protagonist den ultimativen Test bestanden, wie er erfährt, als er auf einem Schiff vor Dänemark aufwacht und der Geheimoperation „Tenet“ zugewiesen wird. Von der Wissenschaftlerin Barbara (Clémence Poésy) erfährt der Agent, dass es Menschen in der Zukunft gelungen ist, Objekte temporal zu invertieren, so dass Kugeln aus einer Pistole nicht abgeschossen, sondern aufgefangen werden.
Da in letzter Zeit immer mehr solcher Objekte aufgefunden werden, steht ein Dritter Weltkrieg bevor, der mit allen Mitteln verhindert werden muss. Die Untersuchung der invertierten Munition weist auf den Waffenhändler Sanjay Singh (Denzel Smith) in Mumbai hin, doch in Wahrheit leitet seine Frau Priya (Dimple Kapadia) die Geschäfte. Von ihr erfährt der Protagonist, dass sie die Munition an den russischen Oligarchen Andrei Sator (Kenneth Branagh) verkauft habe, der sein Reichtum durch den Handel mit Plutonium erworben hat und nun für die Menschen aus der Zukunft arbeitet. Um Zugang zu dem abgeschottet in London lebenden Sator zu erhalten, nimmt der Protagonist Kontakt zum britischen Geheimdienstoffizier Sir Michael Crosby (Michael Caine) auf, der den Agenten an Sators Ehefrau Kat (Elizabeth Debicki) verweist, die in einem Auktionshaus arbeitet und eine gefälschte Zeichnung von Goya, die an ihren verhassten Mann verkauft wurde, für echt befunden hatte.
Seither erpresst Sator seine Frau mit der Fälschung. Wie sie dem Protagonisten erzählt, habe Sator ihr bei einem Yachtausflug vor Vietnam angeboten, sie gehen zu lassen, wenn sie ihm dafür ihren gemeinsamen Sohn überlasse, was sie allerdings nicht übers Herz gebracht habe. Zusammen mit seinem neuen Partner Neil (Robert Pattinson) versucht der Protagonist, Zugang zu Sator zu erhalten und den Krieg der Zeiten zu verhindern.
Kritik:
Mit seinem elften Spielfilm ist Christopher Nolan das Kunststück gelungen, einen actionreichen Spionage-Thriller à la James Bond und Jason Bourne mit einer komplexen philosophischen Thematik so zu verknüpfen, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Nachdem der an Fragen um Erinnerungen, Träume, Wahrnehmung und Zeit interessierte Filmemacher bereits mit „Inception“ und „Interstellar“ auf spannende Weise erforscht hat, wie Träume und Erinnerungen mit dem Bewusstsein korrespondieren, packt Nolan mit „Tenet“ das Thema der Zeitreise auf spektakuläre Weise neu an, lässt die Bewegung in der Zeit parallel vorwärts und rückwärts laufen und inszeniert so Action-Szenen, wie man sie noch nie gesehen hat.
Dabei muss man als Zuschauer – schon gar nicht beim ersten Betrachten - nicht unbedingt verstehen, wie die Zusammenhänge ausgestaltet sind und sich der Plot aus den Annahme, dass Menschen in der Zukunft den Dritten Weltkrieg vorbereiten, entwickelt. Sobald man sich allein auf die Möglichkeit der Inversion einlassen kann, macht „Tenet“ einfach nur Spaß. Dabei beginnt „Tenet“ zunächst wie ein konventioneller Geheimdienst-Thriller. Nolan packt sein Publikum bereits mit dem furios inszenierten Anschlag auf die vollbesetzte Kiewer Oper und lässt es danach nicht mehr vom Haken, denn eine spektakuläre Action-Sequenz jagt die nächste, von Überfällen auf einen eigentlich gut gesicherten Plutonium-Transport und Auto-Verfolgungsjagden, bei denen rückwärts in der Zeit fahrende Autos auf Fahrzeuge treffen, die sich vorwärts im Zeitstrahl bewegen, bis zu erstaunlich choreografierten Schusswechseln, Explosionen und Nahkämpfen. Dazwischen bleibt durchaus Zeit, die zugrundeliegende Thematik zu veranschaulichen und vor allem Kats Dilemma auszuformulieren. Elizabeth Debicki („Codename U.N.C.L.E.“, „Widows – Tödliche Witwen“) verkörpert mit Kat dabei die interessanteste Figur, setzt sie doch alles daran, von ihrem sadistischen Mann loszukommen, ohne das Wohl ihres Kindes zu gefährden. Kat verkörpert das typische Bond-Girl, das die Handlung vorantreibt, denn ebenso wie sie wollen auch der Protagonist und Neil den Tod des skrupellosen Oligarchen, der von Kenneth Branagh („My Week With Marilyn“, „Mord im Orient-Express“) herrlich diabolisch dargestellt wird. Besondere Erwähnung verdient natürlich Denzel Washingtons Sohn John David Washington, der nach „BlacKkKlansman“ einmal unter Beweis stellt, dass er wie sein Vater ein ganz Großer seiner Zunft werden kann. Und auch Robert Pattinson („Cosmopolis“, „Der Leuchtturm“) überzeugt an Washingtons Seite.
Nimmt man zu den hervorragenden Darstellern noch die fantastischen Bilder von Kameramann Hoyte Van Hoytema („James Bond 007: Spectre“, „Dunkirk“), den düster-treibenden Score von Ludwig Göransson („Black Panther“, „The Mandalorian“) in bester Hans-Zimmer-Tradition und Nolans abgefahrene Story und brillante Inszenierung, genießt man am Ende ein in jeder Hinsicht berauschendes Filmerlebnis, das durchaus einige Wiederholungen wert ist.
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