Insomnia - Schlaflos

Mit seiner ersten größeren Studio-Produktion „Memento“ (2000) hat Christopher Nolan nicht nur mit den Konventionen Hollywoods und den Sehgewohnheiten des Publikums gebrochen, sondern definitiv auch eine eigene Handschrift hinterlassen, die den Filmemacher für größere Aufgaben qualifizierte. Dass Nolan stattdessen für Warner Bros. ein Remake des skandinavischen Thriller-Dramas „Insomnia“ inszenierte und sich dabei ganz orthodoxer filmischer Mittel bediente, ließ den Eindruck entstehen, dass er seinen eigenen Erzählstil zugunsten größerer Produktionen schon hinter sich gelassen hatte, bevor er ihn überhaupt richtig ausdefinieren konnte. Dennoch ist ihm mit „Insomnia – Schlaflos“ ein überdurchschnittlicher Thriller gelungen, der mit den drei Oscar-Preisträgern Al Pacino, Robin Williams und Hilary Swank zudem hochkarätig besetzt ist. 

Inhalt:

Um bei der Aufklärung eines Mordes an der 17-jährigen Schülerin Kay (Crystal Lowe) zu helfen, hat Chief Nyback (Paul Dooley) seinen alten Kumpel, die Cop-Legende Will Dormer (Al Pacino), aus Los Angeles angefordert. Als er mit seinem Partner Hap Eckhart (Martin Donovan) nach Nightmute in Alaska kommt, ist vor allem die unerfahrene Polizistin Ellie Burr (Hilary Swank) hellauf begeistert, kennt sie doch alle aufsehenerregenden Fälle ihres großen Vorbilds. 
Der fühlt sich allerdings nur bedingt geschmeichelt, denn vor allem bietet ihm diese Exkursion eine Auszeit vor den nervenaufreibenden Ermittlungen der Abteilung für Innere Angelegenheiten, die Dormers Fehlverhalten in früheren Fällen untersucht. Eckhart teilt Dormer mit, dass er auf den angebotenen Deal eingeht, um unbeschadet aus der Sache herauszukommen, was auf der anderen Seite bedeuten würde, dass nicht nur Dormers Karriere beendet wäre, sondern auch die von ihm gefassten Straftäter wieder auf freien Fuß kommen würden. 
Zwar gelingt es den Cops, Kays Mörder recht schnell ausfindig zu machen, doch als sie ihm eine Falle stellen wollen, erschießt Dormer im dichten Nebel aus Versehen (?) seinen Partner – mit seiner Ersatzwaffe. Bei der anschließenden Ermittlung von Burr sagt Dormer aus, dass der fliehende Täter für Eckharts Tod verantwortlich gewesen sei, doch so leicht lässt sich das Problem nicht lösen. Walter Finch (Robin Williams), Autor von Detektiv-Romanen, schlägt Dormer einen Handel vor, bei dem Kays Freund Randy (Jonathan Jackson) als Täter hingestellt werden soll, so dass Dormer und Finch für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen werden würden. Da Dormer durch die Mitternachtssonne tagelang keinen Schlaf bekommt, kann er keinen klaren Gedanken mehr fassen… 

Kritik: 

Während Nolan das Publikum in seinen ersten beiden Filmen „Following“ (1998) und „Memento“ (2000) durch die Puzzle-artige Zeitstruktur fesselte, ist es beim – bis auf wenige Rückblenden – chronologisch erzählten Remake von „Insomnia“ das Psycho-Duell zwischen dem nicht ganz astrein spielenden Cop und dem Mörder des Mädchens. Da die Täterfrage sowohl in Hinsicht auf Dormers Partner als auch auf die Frage nach Kays Mörder sehr früh bzw. unmittelbar geklärt ist, bezieht der Plot seine Spannung aus der Frage, wie die Patt-Situation zwischen Dormer und Finch aufgelöst wird. 
Dabei spielt ebenso wie in Nolans früheren und vor allem auch späteren Filmen wie „Inception“, „Interstellar“ und „Tenet“ die Wahrnehmung eine besondere Rolle. Nur ist es hier nicht das Spiel mit der Zeit, mit Traum und Erinnerungen, sondern die durch die Mitternachtssonne verursachte Schlaflosigkeit. Wenn die gelehrige Dormer-Schülerin Burr allerdings dazu ihr Vorbild zitiert, dass gute Polizisten nicht schlafen können, weil ihnen ein bestimmtes Puzzleteil fehlt, ist sie der Wahrheit näher, als Dormer lieb sein kann. 
Interessant wird die Definition gewissenhafter Polizeiarbeit im packenden Finale. Al Pacino („An jedem verdammten Sonntag“, „Insider“) verkörpert den zunehmend übermüdeten Cop von Beginn an mit subtiler Ausdruckskraft, wobei ihm Robin Williams („Good Will Hunting“, „Der Club der toten Dichter“) als raffinierter Mörder ebenbürtig gegenübersteht. Hilary Swank („Boys Don’t Cry“, „Million Dollar Baby“) als ambitionierte Nachwuchs-Polizistin und Maura Tierney („The Affair“, „Beautiful Boy“) als Rezeptionistin spielen zwar nur in zweiter Reihe, sorgen aber für eine emotionale Erdung des Dramas, das durch Wally Pfister („The Italian Job“, „Inception“) großartig fotografiert und von David Julyan verstörend musikalisch untermalt worden ist. 
Auch wenn „Insomnia – Schlaflos“ gegenüber Nolans übriges Werk etwas abfällt, unterhält der Film als toll gespieltes und souverän inszeniertes Thriller-Drama auf hohem Niveau. 

Kommentare

Beliebte Posts