M - Eine Stadt sucht einen Mörder

Fritz Lang hatte 1922 mit seinem Kriminalepos „Dr. Mabuse, der Spieler“ den Urtyp des genialen Oberschurken geschaffen und anschließend mit seiner ebenfalls zweiteiligen Fantasy-Abenteuer-Saga „Die Nibelungen“ (1924) und dem Science-Fiction-Drama „Metropolis“ (1927) vor allem mit kühnen Architekturen geprotzt. Mit seinem ersten Tonfilm wollte er sich wieder mehr dem Menschen und seiner Psychologie zuwenden. Inspiriert von den realen Triebtätern Peter Kürten und Fritz Haarmann schuf Lang 1931 mit „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ gleichermaßen eine packende Kriminalgeschichte, ein Justizdrama und eine Gesellschaftsstudie. Es sollte der letzte Film sein, den die beiden in Wien geborenen und in Berlin lebenden Fritz Lang und sein Hauptdarsteller Peter Lorre in Deutschland verwirklichten, bevor sie vor den Nazis in die USA flohen. Bis heute zählt „M“ zu den bedeutendsten Werken der Filmgeschichte. 

Inhalt: 

Acht Kinder gehen bereits auf das Konto eines unbekannten Triebtäters, nun kehrt auch Elsie (Inge Landgut), die kleine Tochter von Frau Beckmann (Ellen Widmann), nicht aus der Schule zurück. Kommissar Lohmann (Otto Wernicke) steht unter dem Druck des Polizeipräsidenten (Ernst Stahl-Nachbaur), der wiederum vom zuständigen Innenminister (Franz Stein) bedrängt wird, endlich Ermittlungserfolge zu präsentieren. Lohmann zählt zwar geduldig auf, was seine Leute alles unternommen haben, um den Kindermörder dingfest zu machen, aber bislang ist noch keine Aktion von Erfolg gekrönt gewesen. 
Als der Mörder einen Brief an die Presse schickt und weitere Morde ankündigt, lässt Lohmann Graphologen und Fingerabdruckexperten auf den Brief ansetzen, bis er auf die Idee kommt, die psychiatrischen Krankenhäuser nach kürzlich entlassenen Patienten zu durchforsten, die zwar als geheilt gelten, von ihrer Struktur aber auf das Profil des Täters passen. Dabei gerät auch der unscheinbare Hans Beckert (Peter Lorre) in den Fokus, doch kann die Polizei in dessen Wohnung zunächst nichts Belastendes finden. Währenddessen ist auch die Unterwelt beunruhigt, da die Razzien und Untersuchungen der Polizei ihre Geschäfte nahezu zum Erliegen gebracht haben. 
Unter Führung des berüchtigten Schränkers (Gustav Gründgens) organisiert der „Ring“ eine dichte Abdeckung der Stadt durch verdeckte Beobachtungsposten, für die Bettler eingesetzt werden. Ein blinder Luftballonverkäufers (Georg John) identifiziert den Täter anhand einer Melodie, die Beckert pfiff, als er der verschwundenen Elsie einen Ballon gekauft hatte, malt ihm mit Kreide ein „M“ auf den Rücken und sperrt ihn in einem Bürogebäude ein, wo Beckert von Schränker und seinen Gangstern aufgegriffen und in eine stillgelegte Schnapsfabrik geschafft wird, wo ihm der „Prozess“ gemacht werden soll... 

Kritik: 

Mit den Errungenschaften des Tonfilms erlagen viele Filmemacher der Versuchung, auf der Tonebene das Geschehen auf der visuellen Ebene zu verstärken. Im Gegensatz dazu setzte Lang in seinem ersten Tonfilm den Ton sehr behutsam ein, verzichtet bis auf das leitmotivisch eingesetzte Pfeifen aus Griegs Peer-Gynt-Suite Nr. 1, „In der Halle des Bergkönigs“, gänzlich auf filmmusikalische Untermalung und spielt bewusst mit der Stille, um dann mit dem wieder einsetzenden Ton auf eine dramatische Situation hinzuweisen. Doch das ist nur ein Aspekt, unter dem Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ zu einem die Jahrzehnte überdauernden Meisterwerk avanciert ist. 
Mit „M“ ist ihm ein Film gelungen, das als psychologisches Kriminaldrama ebenso überzeugt wie als neusachliche Studie über die Angst gegenüber einer nicht identifizierten Bedrohung. Bereits mit den ersten Szenen, wenn Lang sich einen Luftballon in der erkennbaren Form eines Menschen in den Leitungen eines Strommastes verfangen lässt, der Schrei von Elsies verzweifelter Mutter durch das leere Treppenhaus schallt und ein Ball einsam auf dem Asphalt zur Ruhe kommt, bringt Lang das schwer fassbare Entsetzen zum Ausdruck, das die Großstadtbevölkerung ergriffen hat. In dieser von Unsicherheit und Angst geprägten Stimmung kann jeder verdächtigt werden, der auch nur mal mit einem Kind zusammen gesehen worden ist. 
Zwar ist „M“ in erster Linie ein Kriminalfilm, in dem eine ganze Stadt nach einem Triebtäter sucht., doch es ist wie zuvor „Dr. Mabuse, der Spieler“ und später auch „Das Testament des Dr. Mabuse“ ein fast dokumentarisches Zeugnis seiner Zeit. Nach seiner Abkehr von der UFA ließ sich Lang von dem Produzenten Seymor Nebenzahl (Nero-Film) alle künstlerischen Freiheiten zusichern und war so in der Lage, das Thema spektakulärer Serienmorde nach sorgfältigen Recherchen auf feinsinnige Weise umzusetzen. Während er in „Metropolis“ noch eine Unter- und eine Oberwelt zur räumlichen Trennung von Arbeitern und der gesellschaftlichen Elite etablierte, werden die sozialen Unterschiede nun durch Mietskasernen und Boulevards innerhalt einer Stadt markiert. Davon abgesehen unterscheiden sich die Methoden des Rechtsstaats und der Unterwelt nicht sonderlich voneinander, wie Lang in den wechselhaft inszenierten Beratschlagungen der Polizei einerseits und der Verbrecherorganisation andererseits veranschaulicht. 
Der wesentliche Unterschied besteht in dem Verständnis der Justiz. Wenn Beckert von Schränker und seinen Gesellen vor ihr „Gericht“ gestellt wird, droht ihm die Ermordung durch den Mob. Hier hat Peter Lorre übrigens seine beste Szene, wenn er als Entschuldigung vorbringt, dass er von inneren Stimmen gequält und zum Morden gezwungen wird. Für seinen „Verteidiger“ (Rudolf Blümmer) ist diese Selbsterkenntnis Grund genug, seinen „Mandanten“ der Psychiatrie zu übergeben, da ein psychisch kranker Täter nicht für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden kann. 
Mit der Schlussszene setzt Lang ein Zeichen für die Rechtsstaatlichkeit und gegen die Lynchjustiz. Mit der kontrastreichen Kameraführung weist Lang schon auf seine nachfolgenden Noir-Werke hin, die er vor allem in den 1940er und 1950er Jahren in Hollywood realisieren sollte. 

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