Memento

Nachdem Christopher Nolan 1998 mit seinem Low-Budget-Debüt „Following“ bei Festivals und Filmproduzenten auf sich aufmerksam machen konnte, standen ihm für seinen zweiten Spielfilm zwei Jahre später schon beachtliche 9 Millionen Dollar als Budget und die prominenten Darsteller Guy Pierce („L.A. Confidential“, „Ravenous – Friss oder stirb“) und Carrie-Anne Moss („Flashfire“, „Matrix“) zur Verfügung. Mit „Memento“ begibt sich Nolan auf ein Terrain, das er in seinen späteren Meisterwerken wie „Inception“, „Interstellar“ und „Tenet“ noch ausführlicher beackert, nämlich die Beschäftigung mit Fragen rund um Bewusstsein, Erinnerung und Manipulation. 

Inhalt: 

Der ehemalige Versicherungsagent Leonard Shelby (Guy Pearce) leidet seit einem traumatischen Erlebnis unter anterograder Amnesie, einem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses. An alles, was vor der Vergewaltigung und Ermordung seiner Frau Catherine (Jorja Fox) geschah, kann er sich erinnern, doch nachdem er einen der Täter erschießen konnte, zog ihm der zweite Täter einen Totschläger über den Kopf und verursachte so Leonards ungewöhnliches Hirnleiden. Allerdings ist er während seiner beruflichen Tätigkeit bereits mit diesem Phänomen konfrontiert worden. Leonard sollte herausfinden, ob Sammy Jankis (Stephen Tobolowsky) anterograde Amnesie eine physische Ursache hatte und somit von der Versicherung abgedeckt war, aber mehrere Tests ergaben die Schlussfolgerung, dass Sammys Jankis‘ Leiden psychischer Natur war und somit keinen Anspruch auf eine Versicherungsleistung hatte. Jankis‘ Frau (Harriet Sansom Harris), der er nach wie vor gewissenhaft ihre Insulin-Spritzen verabreichen konnte, unterzog ihren Mann schließlich einen eigenen Test. Da Leonard sich an nichts mehr erinnern kann, was länger als ein paar Minuten her ist, bedient er sich eines ausgeklügelten Systems, um die Orientierung zu behalten. So macht er Polaroids von wichtigen Orten wie dem Motel, in dem er abgestiegen ist, von wo aus er den Mörder seiner Frau sucht, oder für die Ermittlung wichtige Personen und versieht die Fotos mit eigenen Hinweisen. Bedeutsamere Erkenntnisse wie das Autokennzeichen und den Namen „John G.“ des mutmaßlichen Täters lässt er sich auf seinen Körper tätowieren. Zwar wollen ihm auch die Barkellnerin Natalie (Carrie-Anne Moss) und sein vermeintlicher Freund Teddy (Joe Pantoliano) bei seiner Suche helfen, doch wirklich sicher kann sich Leonard ihrer Motive nicht sein… 

Kritik: 

Nach einer Kurzgeschichte seines Bruders Jonathan hat Christopher Nolan mit „Memento“ einen absolut faszinierenden Film kreiert, der mit dem Ende beginnt und sich dann parallel sowohl vorwärts als auch rückwärts entwickelt. Um den Zuschauer nicht völlig zu überfordern, sind die Szenen, die sich in der Zeit nach vorn entwickeln, in Schwarz-Weiß gedreht, die rückwärtsgewandten in Farbe. 
Wenn Leonard zu Beginn einen Mann erschießt und dabei ein Polaroid in der Hand hält, wird die abgefeuerte Kugel von der Pistole aufgesogen, das Polaroid verblasst. Und so, wie sich Leonard nur an die letzten fünf oder zehn Minuten erinnern kann, präsentiert Nolan seinem Publikum auch nur ähnlich lange Szenen, in denen zunehmend deutlich wird, dass Teddy und Natalie nicht unbedingt die sind, für die sie sich ausgeben. 
Der Noir-Charakter von „Memento“ wird aber nicht allein durch die zwielichtigen Figuren geprägt, auf die Leonard bei seiner Suche nach dem Mörder seiner Frau angewiesen ist. Es ist auch das geschickte Spiel mit dem fragilen Geflecht aus Wahrnehmungen, Täuschungen und Erinnerungen, denen Leonard durch seine Krankheit fast hilflos ausgeliefert ist. Allein seine akribischen Aufzeichnungen und Mechanismen zur Verarbeitung der gesammelten Informationen lassen ihn Puzzlestück für Puzzlestück zusammenfügen. Das ist von Nolan nicht nur meisterhaft ohne bemerkenswerte Special Effects inszeniert, sondern auch gerade von Guy Pierce wunderbar gespielt. 
Er verkörpert die Verletzlichkeit seiner Figur ebenso wie den unbedingten Willen, seiner geschändeten Frau Gerechtigkeit walten zu lassen. Wie viele seiner späteren Werke lädt auch „Memento“ seine Zuschauer dazu ein, sich Nolans Film wieder und wieder anzusehen, um die Puzzleteile selbst schneller zusammenfügen zu können. Wally Pfister, mit dem Nolan bis zu „The Dark Knight Rises“ zusammenarbeiten sollte, schuf dazu eindringliche Bilder, die das Unbehagen des stark gehandicapten Protagonisten wunderbar verdichten. „Memento“ ist sicher einer der ungewöhnlichsten und intelligentesten Filme überhaupt und lohnt immer wieder einer Neu-Betrachtung.  

Kommentare

Beliebte Posts