Wer die Nachtigall stört
Obwohl der 1960 veröffentlichte Roman „To Kill a Mockingbird“ von Harper Lee ein Jahr darauf mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde und zu einem Bestseller avancierte, reagierte Hollywood sehr verhalten auf die Möglichkeit einer Verfilmung, enthielt der während der Großen Depression in einer südstaatlichen Kleinstadt angesiedelte Roman über Rassismus doch zu wenig Action und keine Liebesgeschichte. Am Ende übernahm sich der spätere Erfolgsregisseur Alan J. Pakula („Die Unbestechlichen“, „Die Akte“) die Produktion von „Wer die Nachtigall stört“ mit Gregory Peck in der Hauptrolle, der für seine Leistung mit dem Oscar ausgezeichnet wurde.
Inhalt:
Jean Louise „Scout“ Finch (Mary Badham) und ihr vier Jahre älterer Bruder Jeremy „Jem“ Atticus (Philipp Alford) leben Anfang der 1930er Jahre in der Kleinstadt Maycomb, Alabama, wo die Menschen unter der Wirtschaftskrise zu leiden haben. Nachdem ihre Mutter vor vier Jahren verstorben ist, kümmert sich die schwarze Hausangestellte Calpurnia (Estelle Evans) um die Kinder, während ihr Vater Atticus (Gregory Peck) als Anwalt für das Einkommen sorgt.
Ihr unbeschwerter Alltag bekommt aber erste Risse, als Richter Taylor (Paul Fix) ihren Vater bittet, den schwarzen Landarbeiter Tom Robinson (Brock Peters) zu verteidigen, der von dem verarmten Farmer Ewell (James Andersen) und seiner Tochter Mayella (Collin Wilcox Paxton) beschuldigt wird, Mayella brutal geschlagen und vergewaltigt zu haben. Da der oft betrunkene Redneck Ewell bereits dabei ist, einen Mob um sich zu scharen, muss Robinson durch Sheriff Tate (Frank Overton) in ein Gefängnis außerhalb der Stadt untergebracht werden. Viel spannender finden die beiden Geschwister aber das unheimliche Nachbarhaus, in dem der mürrische Nathan Ridley (Richard Hale) mit seinem Sohn Arthur (Robert Duvall) lebt, der nur als „Boo“ bekannt ist und nie in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Zusammen mit Dill (John Megna), der jeden Sommer nach Maycomb kommt und bei seiner Tante Stephanie (Alice Ghostley) wohnt, versuchen sie, einen Blick auf den geheimnisvollen Mann zu erhaschen, bekommen es aber schnell mit der Angst zu tun.
In der Nacht vor dem Prozessbeginn befindet sich Robinson wieder in einer Zelle im Sheriffsbüro von Maycomb, vor dessen Tür sich Atticus Finch postiert hat, um den erwarteten Lynchmob aufzuhalten. Angeführt von dem Farmer
Walter Cunningham (Crahan Denton), drängen die Männer um die Überlassung des „Niggers“ in ihre Hände, doch da schaltet sich Scout ein, die mit Jem und Dill die Ereignisse aus der Nähe beobachtet hat. Sie spricht Cunningham darauf an, dass er vor kurzem bei ihnen zuhause gewesen sei, um seine Schulden bei ihrem Vater mit einem Sack voller Nüsse abzuzahlen, worauf dieser beschämt mit seinen Leuten abzieht. Die darauffolgende Gerichtsverhandlung zieht sowohl die schwarze als auch die weiße Bevölkerung in ihren Bann. Jem, Scout und Dill gelingt es, Plätze in der Nähe des schwarzen Reverend Sykes (Bill Walker) auf der Galerie zu ergattern…
Kritik:
Horton Foote, der zuvor vor allem Episoden zu Fernsehshows wie „Kraft Television Theatre“, „The Gulf Playhouse“, „Omnibus“ und „Playhouse 90“ geschrieben hatte, war sich zunächst unsicher, ob er mit seiner Adaption von Harper Lees mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman gerecht werden würde, doch gelang es ihm, die Essenz der autobiografisch gefärbten Geschichte um das Aufwachsen von Kindern während der Großen Depression und des Rassismus herauszuarbeiten. Robert Mulligan erwies sich als ebenso versierter Regisseur, die aus der Perspektive der erwachsenen Scout im Rückblick erzählte Geschichte mit großem Einfühlungsvermögen zu inszenieren. Dabei gelingt ihm bereits mit dem Vorspann ein interessanter Einstieg, wenn ein Kind singend mit Gegenständen aus einer Schachtel spielt, die u.a. zwei geschnitzte Puppenfiguren, Murmeln, eine Taschenuhr und Stifte enthält. So wird der Boden für eine geheimnisumwitterte Geschichte bereitet, die aus Kinder-Perspektive erzählt wird.
Durch den Fall, den ihr Vater übernommen hat, lernen Scout und Jem den Rassismus mit eigenen, noch unschuldigen Augen kennen. Gregory Peck („Moby Dick“, „Ein Köder für die Bestie“) ist die Rolle der menschenfreundlichen Anwalts und liebevollen Vaters auf den Leib geschrieben. Wie er seinen Kindern erklärt, dass man seine Mitmenschen besser verstehe, wenn man ihre Rolle einnehmen würde, macht deutlich, dass Gerechtigkeit und Nächstenliebe seinen Charakter prägen. Eine besondere Intensität erhält das Drama in der letzten halben Stunde, wenn die Kinderperspektive aufgegeben wird und Gregory Peck sein eindringliches Plädoyer im Gerichtssaal hält. Bei dieser Dramatik verzichtet Mulligan auf die minimalistische Untermalung von Elmer Bernstein und konzentriert sich ganz auf den Prozess, der die Schuld des Angeklagten mehr als fraglich erscheinen lässt, aber in dem rauen politischen Klima nicht unbedingt auch zu einem entsprechenden Urteil führt.
Das einfühlsam inszenierte und großartig gespielte Plädoyer für Menschlichkeit und Gerechtigkeit wurde für acht Oscars nominiert und erhielt letztlich drei Auszeichnungen – u.a. Gregory Peck als Bester Hauptdarsteller und Horton Foote für das Beste Drehbuch.
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