Alice und Martin
Bereits mit seinen vorangegangenen Filmen wie „Meine liebste Jahreszeit“ (1993), „Wilde Herzen“ (1994) und „Diebe der Nacht“ (1996) hat Drehbuchautor und Regisseur André Téchiné sein Faible für komplizierte Liebesbeziehungen zum Ausdruck gebracht. Mit dem 1998 entstandenen Drama „Alice und Martin“ setzt er diese Reihe fort.
Inhalt:
Als illegitimer Sohn eines Unternehmers lebt der 20-jährige Martin Sauvagnac (Alexis Loret) seit zehn Jahren bei der Familie seines Vaters, der eine neue Ehefrau und drei weitere Söhne hat. Nachdem es immer wieder zu Konflikten zwischen Martin und seinem dominanten Vater gekommen ist, flüchtet der junge Mann nach dem plötzlichen Tod seines Vaters und taucht für einige Wochen völlig unter, stiehlt Lebensmittel auf einem Bauernhof und haust in leeren Hütten. Als er dabei von der Polizei aufgegriffen wird, sorgt seine Stiefmutter für seine Freilassung, nachdem sie dem Landwirt versprochen hat, den entstandenen Schaden zu ersetzen. Doch statt sich wieder mit seiner neuen Familie zu versöhnen, zieht es Martin nach Paris, wo sein Halbbruder Benjamin (Mathieu Amalric), ein homosexueller Schauspieler, in einer kleinen Wohnung mit der Violinistin Alice (Juliette Binoche) lebt. Martin ist fasziniert von Alice, verfolgt sie, nur um zu sehen, wie sie ihren Tag verbringt, was ihr allerdings auch nicht entgeht und worauf sie ihren jungen Verehrer auch zur Rede stellt. Von einer Beziehung will sie nichts wissen, und doch bringt seine Hartnäckigkeit etwas in ihr zum Klingen. Nachdem Martin als Fotomodel entdeckt worden ist und sich eine eigene Wohnung leisten kann, lässt sich Alice schließlich doch auf eine Beziehung mit dem viel jüngeren Martin ein…
Kritik:
Téchinés „Alice und Martin“ beginnt mit einem Paukenschlag, einer kurzen Abfolge von Ereignissen, in denen Martins Weg von seiner Mutter, einer Friseurin, zu seinem Vater, einem wohlhabenden, aber dominanten Unternehmer, nachgezeichnet wird. Familiärer Streit, Martins Flucht, die Information, dass Martins Vater tot ist. Doch statt nun auf klassische Weise im Rückblick aufzuschlüsseln, wie es zu dieser Tragödie gekommen ist und welche Rolle Martin dabei gespielt hat, konzentriert sich Téchiné auf die weitere Geschichte von Martin, der völlig mittellos durch die Wildnis streift, im wahrsten Sinne von der Hand in den Mund lebt und schließlich in Paris bei seinem homosexuellen Halbbruder und seiner Mitbewohnerin aufschlägt.
Das Vorspiel dient nur dazu, die kommenden Probleme in der Annäherung zwischen Alice und Martin zu erklären, doch der Hintergrund von Alice bleibt völlig im Dunkeln. Sie geht ganz in ihrer Musik auf, mag sich nicht auf eine unschickliche Beziehung mit einem unreif wirkenden jungen Mann einlassen, und doch ist sie von Martins offener Art fasziniert, sicher auch davon, wie er sich vor der Kamera und schließlich der Öffentlichkeit präsentiert.
Doch mit dem öffentlichen Martin gehen nicht die privaten Probleme verloren. Spätestens mit der Nachricht, dass Alice schwanger ist, scheint seine mühsam errichtete Fassade einzustürzen. So wirklich nah lässt Téchiné das Publikum seinen Figuren nicht kommen. Zwar wird die eingangs erwähnte Tragödie in einem Rückblick doch noch aufgeschlüsselt, doch die Beziehung zwischen Alice und Martin bleibt etwas abstrakt und akademisch, zu wenig leidenschaftlich, als würden Juliette Binoche und der unerfahrene Alexis Loret nur strenge Regieanweisungen ausführen, ohne selbst ihre Figuren mit Leben füllen zu dürfen.
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