Meine liebste Jahreszeit
André Téchiné („Diebe der Nacht“, „Alice und Martin“) ist für seine einfühlsamen, mitunter aber auch etwas überladenen Beziehungsdramen bekannt. 1993 inszenierte er mit Catherine Deneuve und Daniel Auteuil ein Familiendrama in vier Akten, das sich letztlich auf die inzestuös anmutende Beziehung zwischen den Geschwistern konzentriert.
Inhalt:
Nach einigen kleineren Schlaganfällen bereits gezeichnet soll die verwitwete Berthe (Marthe Villalonga) ihre Existenz auf einem französischen Farmhaus aufgeben und zu ihrer Tochter Emilie (Catherine Deneuve) und ihrem Mann Bruno (Jean-Pierre Bouvier) nach Blagnac ziehen. Zwar bemüht sich Emilie, die mit ihrem Mann eine Anwaltskanzlei leitet, ihrer Mutter ein gutes neues Heim zu bieten, doch will es der alten Dame nicht gelingen, sich in der neuen Umgebung einzuleben. Selbst das Wiedersehen zu Weihnachten mit Emilies Bruder Antoine (Daniel Auteuil), den die Familie seit drei Jahren nicht gesehen hat, führt nicht zur erhofften Auflockerung der Stimmung, sondern sorgt für zusätzliche Spannungen. Bei der Beerdigung des Vaters hat der schnell reizbare Antoine, ein erfolgreicher Neurochirurg, Emilie und ihren Mann nämlich beleidigt, die daraufhin geschworen hat, ihren Bruder nie wieder in ihrem Haus zu empfangen. Als Emilie mit ihrem Mann und der leiblichen, Jura studierenden Tochter Anne (Chiara Mastroianni) zur Mitternachtsmesse fährt, erwischt Antoine bei der Suche nach seiner Mutter Lucien, den Adoptivsohn von Emilie und Bruno, in flagranti mit der afrikanisch-stämmigen Khadija (Carmen Chaplin), die als Anwaltsgehilfin in der Kanzlei von Emilie und Bruno arbeitet, sich aber von Lucien nicht auf ein Sexobjekt reduzieren lassen will.
Als Antoine endlich seine Mutter in ihrem Zimmer findet, äußert sie den Wunsch, auf ihren Bauernhof zurückzukehren. Antoine und Berthe verlassen das Haus noch am selben Abend. Wenige Stunden später trennen sich auch die Wege Brunos und Emilies, als ihnen nach einem heftigen Streit bewusstwird, wie gefühlskalt und abgestumpft sie in ihrer Ehe geworden sind. Emilie verabscheut, was aus ihnen beiden geworden ist. Anne, die alles mit anhört, flüchtet sich zu Khadija…
Kritik:
Téchiné, der wie gewohnt auch das Drehbuch zu seinem Film geschrieben hat, entwickelt aus einer an sich alltäglichen Herausforderung heraus – die Entscheidung, was mit dem hinterbliebenen Elternteil geschehen soll, wenn es sich nicht mehr eigenverantwortlich versorgen kann – das komplexe Psychogramm einer aus den Fugen geratenen Familie. Dabei schlüpft Catherine Deneuve, die mit Téchiné zuvor bereits die Filme „Begegnung in Biarritz“ (1981) und „Schauplatz des Verbrechens“ (1986) gedreht hatte, in die tragende Rolle der aufopferungsvoll fürsorglichen Tochter, die sonst ganz im Beruf und einer funktionalen Ehe gefangen ist.
Für die Reibungspunkte in dem Familiendrama sorgt die Beziehung zu ihrem Bruder, der zwar der Liebling der Mutter ist, aber immer wieder eifersüchtig auf den Mann seiner Schwester reagiert. Für einen Neurochirurgen ist Auteuils Figur allerdings wenig überzeugend gezeichnet, da er sich immer wieder wie ein ungezogenes Kind verhält, der auch nicht davor zurückschreckt, sich am Weihnachtsabend mit seinem Schwager zu prügeln. Weniger gelungen ist auch das Beziehungsgeflecht der jüngeren Generation ausgefallen. Die nicht besonders ausgefeilt inszenierte Beziehung zwischen dem sexbesessenen Adoptivsohn und der farbigen Anwaltsgehilfin strotzt nur so voller Klischees und macht es schwierig, die anfangs noch so subtil aufgebaute Glaubwürdigkeit, bis zum Schluss mitzutragen. So sind es vor allem die guten Darstellerleistungen und die eleganten Bilder, die „Meine liebste Jahreszeit“ sehenswert machen.
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