Diebe der Nacht
Einst zählte André Téchiné zusammen mit seinen prominenten und älteren Kollegen Truffaut, Chabrol und Rivette zu den Kritikern des „Cahiers du Cinéma“, legte 1969 mit „Paulina haut ab“ sein Drehbuch- und Regiedebüt vor. Seither sind Filme wie „Erinnerungen aus Frankreich“ (1975), „Die Schwestern Bronte“ (1979) und mit Catherine Deneuve die Filme „Schauplatz des Verbrechens“ (1986), „Meine liebste Jahreszeit“ (1993), „Changing Times“ (2004) und „Abschied von der Nacht“ (2019) entstanden. 1996 inszenierte Téchiné – wiederum mit der Deneuve – den französischen Noir „Diebe der Nacht“.
Inhalt:
Der 12-jährige Justin (Julien Rivière) beobachtet eines Nachts, wie sein Vater Ivan (Didier Bezace) tot nach Hause gebracht wird. Während seine Mutter Mireille (Fabienne Babe) in Tränen aufgelöst ist, kann es Ivans Vater Victor (Ivan Desny) gar nicht fassen. Zur Beerdigung kommt auch Ivans Bruder Alex (Daniel Auteuil) in die Berge gefahren, mit einer jungen Frau namens Juliette Fontana (Laurence Côte). Justin weiß von seinem Onkel nur, dass dieser in Paris bei der Polizei arbeitet und mit seinem Vater stets nur Streit hatte, weshalb er ihn auch hasst. Alex erinnert sich seinerseits, wie er das erste Mal Juliette begegnete, die ihm als Diebin von Markenparfüm aufs Revier gebracht worden war, und die er trotz ihrer Weigerung ihm als Informantin zu dienen, wieder hatte laufen lassen, nur um mit ihr wenig später eine Affäre anzufangen.
Als sich Alex mit seinem Bruder im Micmac traf, einem von dem sonst als Autohändler tätigen Ivan erworbener Nachtclub, versuchte Ivan einmal mehr, das Verhältnis zu Alex aufzubessern. Damals musste Alex erfahren, dass sowohl Juliette als auch ihr polizeibekannter Bruder Jimmy (Benoît Magimel) mit seinem eigenen kriminellen Bruder in einer Geschäftsbeziehung standen, weshalb er angewidert das Weite suchte. Als die selbstzerstörerische Juliette von Alex‘ Radar verschwindet, wendet sich der Polizist an ihre Philosophie-Professorin Marie (Catherine Deneuve), mit der Juliette ein Verhältnis hatte…
Kritik:
Am Anfang steht der Tod. Die Leiche eines Familienvaters, dessen tödliche Schusswunde am Auge mit einem Tuch bedeckt wird, um allen Angehörigen zu vermitteln, dass es sich um einen Unfall handelte, eröffnet ein Szenario, das in Rückblenden nicht nur aufzeigt, unter welchen Umständen der Verstorbene umgekommen ist, sondern die Puzzleteile auch noch aus verschiedenen, aneinandergereihten Perspektiven zusammenfügt.
Seine Spannung erfährt „Diebe der Nacht“ durch die vertrackten Beziehungen der Personen zueinander. So wie die junge Juliette und Alex ihre Beziehung in Hotels mit gefühllosem, hartem Sex aus purem Selbsthass führen, scheinen sich auch Marie und Juliette in ihrer Liaison nicht wirklich nahezukommen, was aber vor allem daran liegt, dass sich Juliette nicht genügend öffnen mag. Im Zentrum steht natürlich die kriminelle Vergangenheit des Opfers, dessen Leben und Wirken weite Kreise zog, bis in das Leben seines Bruders und seiner Geliebten hinein. Ebenso düster wie die aufgezeigten Biografien ist auch der oft verschneite oder verregnete Look des Films.
Téchiné ist so ein abgrundtief melancholischer Noir gelungen, der weniger amerikanischen als europäischen Strukturen folgt und deshalb so faszinierend ausfällt. Eine echte Entwicklung macht tatsächlich nur Alex durch, wenn er sich dem vaterlosen Justin annähert. Ansonsten sind alle Figuren ganz in ihrem Milieu gefangen.
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