Die Brücken am Fluss

Dass Clint Eastwood nicht nur ein taffer Typ und Vorzeige-Held sein muss, sondern auch eine gefühlvolle Seite in sich trägt, bewies er bereits mit seiner dritten Regiearbeit „Breezy – Begegnung am Vormittag“ (1973). Mehr als zwanzig Jahre später legte er mit der Bestseller-Adaption von Robert James Wallers „Die Brücken am Fluss“ nach und inszenierte eine der schönsten Liebesgeschichten der 1990er Jahre.
Nach dem Tod ihrer Mutter Francesca Johnson (Meryl Streep) kehren ihre beiden Kinder Carolyn (Annie Corley) und Michael Johnson (Victor Slezak) in das elterliche Farmhaus in Iowa zurück, um sich um ihre Bestattung und den Nachlass zu kümmern. Überrascht sind sie von dem Wunsch ihrer Mutter, dass sie nicht neben ihrem zuvor verstorbenen Mann beerdigt, sondern eingeäschert werden möchte, und dass ihre Asche über der Roseman Bridge verstreut werden soll. In ihren Tagebüchern lesen sie nach, woher diese ungewöhnliche Verfügung rührt: Im Jahr 1965 verabschiedet die 40-jährige Farmersfrau ihren Mann Richard (Jim Haynie) und ihre beiden Teenager-Kinder, die für vier Tage zu einer Landwirtschaftsausstellung fahren, und lernt wenig später den „National Geographic“-Fotografen Robert Kincaid (Clint Eastwood) kennen, der für das Magazin einige der in der Gegend so bekannten überdachten Holzbrücken fotografieren will.
Statt ihm den Weg zur nächsten Brücke zu erklären, bietet Francesca dem freundlichen Mann kurzerhand an, ihn dahin zu begleiten, fühlt sie sich doch schnell zu Robert hingezogen. Als sie ihn auch noch zum Abendessen einlädt, kommen sich der weltgewandte Fotograf, der sich nicht binden möchte und überall auf der Welt Freundinnen hat, und die gebürtige Italienerin, die ihre Träume nicht verwirklichen konnte, immer näher, und am Ende der vier viel zu schnell vergangenen Tage muss sich Francesca fragen, ob sie ihre Familie verlassen will, um ihrer neuen Liebe eine Chance zu geben …
In seiner bereits 17. Regiearbeit erweist sich Clint Eastwood als ungewöhnlicher Meister der Gefühle und handwerklich grandioser Filmemacher. Die kitschige Romanvorlage, mit der es der ehemalige Wirtschaftsprofessor Robert James Waller 1993 an die Spitze der Jahresbestsellerliste schaffte, hat Drehbuchautor Richard LaGravenese („Der Pferdeflüsterer“, „König der Fischer“, „Wasser für die Elefanten“) zu einem eindringlichen Liebesdrama geformt, bei dem Gegenwart und Rückblenden sich abwechseln und die Perspektive vor allem auf Francesca gerichtet wird. Während Robert Kincaid nämlich schon viel von der Welt gesehen hat, die Menschen im Allgemeinen liebt und möglichst viele von ihnen kennenlernen will, ohne sich zu binden, sind Francescas Träume bei ihrem Umzug von Italien nach Iowa verloren gegangen.
In wenigen Bildern gelingt es Eastwood und seinem Kameramann Jack N. Green („Nur 48 Stunden“, „Erbarmungslos“) den Alltag und die Ehe der Farmersfrau zu beschreiben, die an ihrem Mann seine Reinlichkeit und Güte schätzt. Die Begegnung mit dem von seinem Beruf besessenen Fotografen Robert eröffnet ihr nicht nur eine Sicht auf die Welt, die ihr bislang verborgen geblieben ist, sondern auch leidenschaftliche Gefühle, die sie in ihrer Ehe nicht ausleben kann.
Doch Eastwood thematisiert in der Affäre zwischen der gerade aufblühenden Farmerin und dem ungebundenen Weltenbummler einmal mehr auch die Befindlichkeiten der amerikanischen Gesellschaft, wenn die Ehebrecherin Lucy Redfield (Michelle Benes) wegen ihres moralischen Fehlverhaltens von den Bewohnern der Kleinstadt mit Verachtung gestraft wird. Als Robert in einem Diner Zeuge von diesem unverblümten Hass wird, mit der die spätere Freundin von Francesca konfrontiert wird, macht sich der einfühlsame Mann sofort Sorgen, dass Francesca das gleiche Schicksal teilen könnte, wenn ihre Bekanntschaft zum Stadtgespräch werden sollte.
Dass das Drama so gut funktioniert, liegt nicht nur an der schnörkellosen Inszenierung, sondern natürlich auch an den glaubwürdigen Dialogen, die die emotionalen Konflikte der beiden Protagonisten transparent machen, und an den beiden Hauptdarstellern, die ihre Rollen perfekt ausfüllen. Von der ohnehin wandlungsfähigen Oscar-Preisträgerin Mery Streep („Jenseits von Afrika“, „Silkwood“) ist diese Leistung auch zu erwarten gewesen, nicht aber unbedingt von Clint Eastwood, der vor allem für seine körperbetonten und coolen Rollen wie in „Dirty Harry“ und Sergio Leones „Dollar“-Trilogie bekannt ist und hier eine zurückhaltende und sehr gefühlvolle Performance zeigt. Zusammen mit der angenehm unaufdringlichen Musik von Lennie Niehaus und dem beruhigend langsamen Erzählton bietet „Die Brücken am Fluss“ bestes Hollywood-Kino der großen Gefühle.
"Die Brücken am Fluss" in der IMDb

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