Spiel mir das Lied vom Tod

Nachdem Sergio Leone mit seiner „Dollar“-Trilogie („Für eine Handvoll Dollar“, „Für ein paar Dollar mehr“, „Zwei glorreiche Halunken“) das Genre des Italo-Western geprägt und mit den Mythen des amerikanischen Western gnadenlos abgerechnet hatte, wollte er eigentlich das Gangster-Epos „Es war einmal in Amerika“ in Angriff nehmen, aber da er keinen entsprechenden Geldgeber fand, schuf er mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968) ein weiteres Italo-Western-Meisterwerk, für das zwar nicht mehr Clint Eastwood zur Verfügung stand, dafür aber Charles Bronson zum Star machte und Henry Fonda in einer ungewohnt fiesen Rolle präsentierte.
Als Harmonica (Charles Bronson) am heruntergekommenen Bahnhof im Präriekaff Cattle Corner aus dem Zug steigt, heißt ihn nicht etwa wie verabredet Frank (Henry Fonda) willkommen, sondern drei zwielichtige Revolvermänner in langen Staubmänteln. Die Auseinandersetzung mit den Schießeisen überleben sie nicht, aber auch der Mann ohne Namen mit der Mundharmonika wird leicht verletzt. Frank hat sich währenddessen mit weiteren Gefolgsleuten zur Farm von Brett McBain (Frank Wolff) gemacht, wo sie sowohl den Mann als auch seine drei Kinder töten. McBain hatte das wüste Land gekauft, weil ihm klar war, dass die Eisenbahnlinie des schwerkranken Unternehmers Morton (Gabriele Ferzetti) an dem Grundstück vorbeiführen würde, weshalb er auf einen hohen Verkaufserlös spekulierte und bereits Baumaterial für einen erforderliche Bahnhof gekauft hatte.
Als die Leichen auf den feierlich gedeckten Tischen aufgebahrt werden, trifft die attraktive Jill (Claudia Cardinale) auf der sogenannten Sweetwater-Farm ein, nachdem sie und McBain vor einem Monat heimlich in New Orleans geheiratet hatten. Ein an der Tür festgenagelter Stofffetzen bringt den Sheriff auf die Spur des gerade entflohenen Herumtreibers Cheyenne (Jason Robards), doch der ebenfalls auf der Farm eintreffende Harmonica bringt vor allem für Jill Licht ins Dunkel und hilft ihr, die Farm zu halten und den Bahnhof zu errichten.
Damit zieht er sich allerdings den Zorn von Frank zu, der seinerseits Interesse an der Farm hat und ein Verhältnis mit Jill beginnt. Um sich möglichem Ärger im Streit um das Spekulationsobjekt fernzuhalten, entschließt sich Jill, das Grundstück meistbietend versteigern zu lassen, doch Franks Leute haben die anwesenden Bieter so eingeschüchtert, dass niemand ein ernsthaftes Angebot abgibt. Gerade als das Land für 500 Dollar verkauft werden soll, bietet Harmonica 5000 Dollar, die er sich durch die Auslieferung von Cheyenne verdient. Als Cheyenne mit der Eisenbahn in ein abgelegenes und sicheres Gefängnis transportiert werden soll, kommt es beim Befreiungsversuch zwischen Mortons Männern und Cheyennes Leuten zu einer blutigen Auseinandersetzung, bei der sowohl Cheyenne als auch Morton schwer verletzt werden. Derweil kommt es hinter der McBain-Farm zum tödlichen Showdown zwischen dem Namenlosen und Frank …
Auch wenn Sergio Leone seine Lust an dem von ihm so stark geprägten Italo-Western verloren hatte und sich thematisch neuen Ufern zuwenden wollte, kehrte er aus rein monetären Gründen noch einmal zu dem Genre zurück und entwickelte mit den beiden so unterschiedlichen Filmemachern Bernardo Bertulucci („Der letzte Kaiser“, „Der letzte Tango in Paris“) und Dario Argento („Suspiria“, „Phenomena“) eine Story, die sich an Figuren und Anspielungen auf die wichtigsten Western-Klassiker orientierte und vor allem durch Sergio Donati in ein kommerziell verwertbares Drehbuch geformt wurde, ohne die Grundaussage der Story zu vernachlässigen.
Wie schon in seiner berühmten „Dollar“-Trilogie geht es auch in „Spiel mir das Lied vom Tod“ um den zerstörerischen Einfluss des Kapitalismus und das Aussterben der Männer, die das Land einst groß gemacht haben, um die Zerstörung von Familie und Moral. Dabei ist ihm mit der Verpflichtung von Henry Fonda als skrupelloser Bösewicht ein besonderer Coup gelungen, war Fonda bis dahin doch auf die Rolle des Guten abonniert, musste aber auch hartnäckig zu diesem Imagewechsel überredet werden. Eine weitere Schlüsselrolle übernahm der bis dahin kaum bekannte Charles Bronson („Ein Mann sieht rot“, „Gesprengte Ketten“), der als allwissender Namenloser immer am richtigen Ort zu sein scheint und dessen Auftrag erst im Finale offenbart wird. Aber auch Jason Robards („Die Unbestechlichen“, „Magnolia“) als an sich gutmütiger Desperado und vor allem die schöne Claudia Cardinale („Der rosarote Panther“, „The Professionals“) mit ihrer Wandlung von der Hure zur Heiligen sorgen für schauspielerische Klasse in dem Edel-Western, dessen Budget größer war als Sergio Leones vorherigen drei Western.
Vor allem sorgt aber Ennio Morricones Musik dafür, dass „Spiel mir das Lied vom Tod“ den opernhaften Charakter des Films prägt. Morricone komponierte verschiedene Themen für die Hauptfiguren, worunter die Mundharmonika-Melodie, die für den Spitznamen des Namenlosen verantwortlich ist, und die von Edda Dell’Orsa wortlos gesungene Melodie für Jill die berühmtesten darstellen.
Leone wollte mit seinem Film den Lügen über die Besiedlung Amerikas ein Ende bereiten. So präsentiert er mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ nicht nur eine Rachegeschichte, sondern auch von dem schmutzigen Geld und dem vielen Blut, das bei der Zivilisierung des Landes geflossen ist. Dabei demonstriert Leone einmal mehr seine Meisterschaft im formalen Aufbau und der Spannungsdramaturgie. Allein die minutenlange Eröffnungssequenz am nahezu verlassenen Bahnhof mit dem Surren der Fliege, den wechselnden Nahaufnahmen der Gesichter, dem Wind, der die Türen klappern lässt, dem Zug, aus dem niemand ausgestiegen zu sein scheint, und der abschließenden Schießerei, aus der der Mann mit der Mundharmonika als Sieger hervorgeht, zählt zu den größten Kinomomenten überhaupt. Meisterhaft wechseln Leone und sein Kameramann Tonino Delli Colli („Der Name der Rose“, „Es war einmal in Amerika“) die Perspektiven von den Nahaufnahmen der von der Sonne gezeichneten Gesichter zu den majestätischen Landschaftsaufnahmen im Monument Valley. Gleichzeitig demontiert er die Träume seiner Protagonisten. Der schwerkranke Morton muss feststellen, dass nicht mal all sein Geld ausreicht, um seinen Traum von einer Eisenbahnlinie, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, zu verwirklichen, Jills Hoffnung von einem ehrbaren Leben und einer eigenen Familie wird bereits bei ihrer Ankunft in Flagstone zerstört, und selbst Frank muss seine Träume von Ruhm und Reichtum am Ende begraben.
So ist „Spiel mir das Lied vom Tod“ eine perfekt stilisierte, meisterhaft inszenierte Western-Oper geworden, mit der Leone letztlich den Abgesang auf ein einst so populären Genres präsentierte, dem nichts mehr hinzuzufügen war.
"Spiel mir das Lied vom Tod" in der IMDb

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