Lucky

Als Harry Dean Stanton am 15. September 2017 im stolzen Alter von 91 Jahren verstarb, hat Hollywood einen seiner charismatischsten Darsteller verloren. Zwar ist vor allem seine Sterbeszene in Ridley Scotts Science-Ficiton-Klassiker „Alien“ (1979) im kollektiven Gedächtnis geblieben, doch hat Stanton mit seinem ausdrucksvollen Gesicht in ruhigeren Produktionen wie Wim Wenders‘ „Paris, Texas“ oder in den Werken von David Lynch seinen Platz gefunden. Mit seinem Regiedebüt „Lucky“ hat ihm Schauspieler John Carroll Lynch („Fargo – Blutiger Schnee“, „The Highwaymen“) ein wunderbares filmisches Testament bereitet.
Der alte Lucky (Harry Dean Stanton) lebt allein in einer Kleinstadt irgendwo im Südwesten der USA und lebt seinen Alltag nach routinierten Abläufen: Der Kriegsveteran beginnt jeden Morgen mit fünf Yoga-Übungen, geht zum Frühstück ins Diner, wo er und der Besitzer sich mit einem freundlichen „Du bist nichts“ begrüßen, dann kauft er im Laden um die Ecke seine Schachtel Zigaretten und seine Milch, um den Nachmittag mit Quizsendungen vor dem heimischen Fernseher zu verbringen. Abends findet er sich in seiner Stammbar zu einer Bloody Mary ein und diskutiert mit den immer gleichen Gästen und Betreibern auch schon mal über philosophische Fragen zur Wahrheit und Realität. Als er eines Tages die rot blinkende Digitaluhr auf seiner Kaffeemaschine anstarrt, fällt er einfach um. Zum Glück ist nichts weiter passiert, aber er lässt sich beim Arzt einmal durchchecken und kehrt etwas unbefriedigt über die Diagnose, dass ihm nichts weiter fehle, sondern einfach alt werde, nach Hause zurück. Nicht zuletzt durch seine Bar-Bekanntschaft Howard (David Lynch), der mit einem Anwalt sein Testament aufsetzt und alles seiner Schildkröte President Roosevelt vermachen will, beginnt Lucky, über das nahe Lebensende nachzudenken …
Obwohl Harry Dean Stanton über eine sehr lange Hollywood-Karriere zurückblicken kann, die Mitte der 1950er Jahre mit einer Vielzahl von Auftritten in Fernsehserien begann, hat er selten eine Hauptrolle spielen dürfen. Nach bemerkenswerten Nebenrollen in den John-Carpenter-Filmen „Die Klapperschlange“ und „Christine“ brachte ihm die Hauptrolle des seit vier Jahren vermissten Travis Henderson in Wim Wenders‘ Road Movie „Paris, Texas“ (1984) eine größere Aufmerksamkeit, ehe er in Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ Saulus und Paulus verkörpern durfte und vor allem immer wieder Nebenrollen in David-Lynch-Filmen („Wild at Heart“, „Inland Empire“, „The Straight Story“) erhielt.
John Carroll Lynch hat Stanton mit „Lucky“ nun das verdiente filmische Denkmal gesetzt, indem er den Schauspieler einfach sich selbst spielen ließ. Es wirkt, als hätten Logan Sparks und Drago Sumonja mit ihrem ersten Drehbuch die Figur des Lucky Stanton direkt auf den Leib geschrieben und ihn in eine Umgebung platziert, die ebenso charakteristisch zerfurcht und auf das Elementarste beschränkt ist wie Luckys/Stantons außergewöhnliches Gesicht.
Der anderthalbstündige Film präsentiert dabei keine nennenswerte Handlung, keine dramatischen Höhepunkte oder Konflikte. „Lucky“ dokumentiert in langen Einstellungen einfach den entschleunigten Alltag eines alten, aber ebenso geistig wie körperlich noch sehr rüstigen Mannes, der seinen Sinn für Humor nicht verloren hat und zwar allein lebt, sich dabei aber nicht einsam fühlt. Das wird bei jeder seiner alltäglichen Begegnungen deutlich, sowohl im Diner als auch im kleinen Gemischtwarenladen, wo ihn die Verkäuferin Bibi (Bertila Damas) sogar zur Fiesta ihres zehnjährigen Sohnes einlädt und er voller Inbrunst auf Mexikanisch ein Liedchen mit der Mariachi-Band trällert. Und wenn er mal Hilfe bei seinen Kreuzworträtseln braucht, hat er immer jemanden, den er anrufen oder fragen kann. Zu den bemerkenswertesten Szenen des Films zählen die Gespräche in der Bar von Elaine (Beth Grant), vor allem mit Howard, der darüber philosophiert, warum seine hundertjährige Schildkröte wohl abgehauen sein könnte. Ebenso wie Lucky Stanton auf den Leib geschrieben worden ist, spielt auch Regisseur und Gelegenheitsschauspieler David Lynch einen Typen wie ihn selbst. Der Film endet im Grunde so, wie er begonnen hat, ohne großes Finale. Lucky alias Harry Dean Stanton verabschiedet sich mit einem Lächeln aus der Hommage an ihn – und ganz elegant und altersweise aus der Filmwelt. Wir werden ihn vermissen!
"Lucky" in der IMDb

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