Für eine Handvoll Dollar

Nachdem die amerikanischen Western-Produktionen mit ihren moralischen, geschichtlichen und politischen Botschaften in den 1960er Jahren immer weniger das Publikum fesseln konnten und ihre Stars wie John Wayne und Audie Murphy alterten, tat sich Europa mit eigenen Motiven hervor. Während in Deutschland die „Winnetou“-Filme nach Karl May auch europaweit ihr Publikum fanden, sorgte Sergio Leone mit dem Low-Budget-Western „Für eine Handvoll Dollar“ (1964) für Furore, indem er den sogenannten „Spaghetti-Western“ etablierte, zu dem nicht zuletzt Ennio Morricones grandiose Musik ihren Beitrag leistete.
Als ein einsamer Reiter (Clint Eastwood) in die Kleinstadt San Miguel in der mexikanischen Wüste eintrifft, wird er Zeuge, wie ein paar Schurken einen kleinen Jungen und seinen Vater misshandeln, was sowohl von Marisol (Marianne Koch), der Frau des Mannes, als auch den Bewohnern der Stadt aus sicherer Entfernung verängstigt beobachtet wird, ohne dass jemand eingreift. Wie der Fremde mit dem Poncho und dem Zigarillo im Mund vom örtlichen Wirt Silvanito (José Calvo) erfährt, wird die Stadt von zwei rivalisierenden Schmugger-Banden beherrscht, den angloamerikanischen Baxters, die von Sheriff John Baxter (Wolfgang Lukschy) angeführt werden, und den mexikanischen Rojos, bei denen der brutale wie eitle Ramón Rojo (Gian Maria Volontè) das Sagen hat. Da nur für das Töten in San Miguel gut bezahlt wird, heuert der Fremde zunächst bei Don Miguel Benito Rojo (Antonio Prieto) an, tötet die vier Baxter-Schurken, die den Fremden, der der Einfachheit einfach Joe genannt wird, bei seiner Ankunft in der Stadt verspottet und seinem Pferd zwischen die Beine geschossen haben, und folgt am nächsten Morgen einer von mexikanischen Soldaten streng bewachten, offensichtlich mit viel Gold beladenen Postkutsche zum Rio Bravo, wo sie von den Rojos, die sich als Offiziere der US-Armee getarnt haben, zusammengeschossen werden. Joe inszeniert auf einem Friedhof schließlich ein Szenario mit zwei Leichen der mexikanischen Armee, um die Baxters und Rojos aufeinander anzusetzen. Er bietet nun auch den Baxters seine Hilfe in der Auseinandersetzung mit den Rojos an und kassiert wiederum eine saftige Prämie, bis Ramón hinter das falsche Spiel des treffsicheren Söldners kommt, ihn foltern und schließlich einsperren lässt. Der Fremde kann jedoch fliehen und sich in den Bergen auskurieren. Bei seiner Rückkehr nach San Miguel ist er nur noch von dem Gedanken getrieben, beide Clans zu vernichten …
Mit einem sehr kleinen Budget von gerade mal 200.000 US Dollar setzte Sergio Leone ein von ihm und Autoren wie Adriano Bolzoni („Mister X“, „Plattfuß am Nil“), Víctor Andrés Catena („Der Schatz von Caboblanco“, „Sandokan“) und Duccio Tessari („Die Sklaven Roms“, „Eine Pistole für Ringo“) entworfenes Drehbuch um, das wiederum auf Akira Kurosawas „Yojimbo – Der Leibwächter“ basierte. Nachdem Wunschstars wie Henry Fonda, James Coburn und Charles Bronson zu teuer waren oder kein Interesse zeigten, rückte schließlich Clint Eastwood als Hauptdarsteller nach, der von dem ebenfalls verhinderten Richard Harrison ins Spiel gebracht wurde und zuvor in der Western-Serie „Tausend Meilen Staub“ als sympathischer Cowboy Rowdy Yates bekannt geworden ist.
Für Eastwood ergab sich aus der Zusammenarbeit mit Leone die Möglichkeit, die ausgetretenen Pfade des glorifizierenden Western-Mythos zu verlassen und dem Genre eine mysteriöse Ebene hinzuzufügen. Wie in seinen späteren eigenen Regiewerken „Ein Fremder ohne Namen“ und „Pale Rider“ stellt Eastwood einen etwas heruntergekommen wirkenden Mann dar, der aus dem Nichts auftaucht und in einem Poncho gekleidet auf seinem Maultier alles andere wie ein Revolverheld wirkt. Aber Leone versucht auch nicht, Sympathien für seinen Protagonisten beim Publikum hervorzurufen. Vielmehr macht er deutlich, dass seine Anti-Helden so brutal sind, weil die Welt, in der sie leben, brutal ist. Deshalb folgen sie auch keinem moralischen Kompass, sondern allein dem Ruf des Geldes. Allerdings demonstriert er am Ende doch, dass er das Herz am rechten Fleck hat, als er die Wiedervereinigung von Marisols Familie ermöglicht, nachdem ihr Mann sie beim Pokern gegen Ramón an ihn verloren hatte. Leone präsentiert damit einen kritischen Gegenentwurf zum amerikanischen Western und der darin widergespiegelten Gesellschaft, wenn er herausstellt, dass jeder nur auf sein eigenes Wohl bedacht ist und dafür die Bevölkerung in unterwürfiger Angst und Schrecken hält, während er durch die Befreiung von Marisol den Wert der Familie betont.
Indem Leone mit Nahaufnahmen und schnellen Schnitten gerade bei den Pistolenduellen arbeitet, erzielt er eine Spannung, die durch die geheimnisvolle Figur des Fremden noch verstärkt wird. Vor allem aber sorgt Ennio Morricones ungewöhnliche Musik dafür, dass „Für eine Handvoll Dollar“ zu einem Meilenstein des Italo-Western avancierte. Gegen die großorchestralen Hollywood-Western-Scores setzte Morricone eine simple gepfiffene Melodie entgegen, die mit stimmungsvollen Geräuschen wie Pistolenschüssen, trappelnden Pferdehufen und Peitschenknallen ebenso angereichert wurde wie mit E-Gitarren, Chören und einer interessanten Mixtur aus tierischen und menschlichen Lauten. Die außergewöhnlich einfallsreiche, packende Musik untermalt perfekt eine Welt des rechtlosen Raums, in der der Stärkere und Schnellere regiert, und präsentiert einen modernen Helden, dessen Wurzeln bis in die Antike zurückreichen.
"Für eine Handvoll Dollar" in der IMDb

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