Ein Fremder ohne Namen

Nachdem Clint Eastwood seinen Durchbruch als Schauspieler seiner eindrucksvollen Performance in den Italo-Western-Klassikern „Für eine Handvoll Dollar“, „Für ein paar Dollar mehr“ und „Zwei glorreiche Halunken“ von Sergio Leone verdankt, huldigte er sowohl dem Meisterregisseur als auch dem Genre mit seiner zweiten Regiearbeit „Ein Fremder ohne Namen“ (1973), wobei er selbst erneut in die vertraute Rolle des wortkargen, aber dafür sehr aktiven Einzelgängers schlüpfte.
Als ein namenloser Reiter (Clint Eastwood) in der kleinen Minenstadt Lago an der Küste eintrifft, wird er von den Einwohnern kritisch beäugt. Im Saloon, wo er in Ruhe sein Bier und seinen Whisky trinken will, wird er auch gleich von ein paar Großmäulern provoziert, doch setzt der Fremde dem Zwischenfall mit flinker Hand sofort ein Ende, als ihm die Rüpel bis zum Barbier folgen, wo er sich eine Rasur und ein Bad gönnen will. Beeindruckt von seinen Fähigkeiten mit der Waffe, will die zumeist feige Bevölkerung den geschickten Pistolero für ihre Zwecke einspannen, denn mit Furcht wird die Rückkehr einer Bande von Banditen erwartet, die nach ihrem einjährigen Gefängnisaufenthalt auf Rache sinnen. Der Fremde ohne Namen lässt sich erst darauf ein, als ihm der Sheriff und der Bürgermeister zusichern, dass ihm jeder Wunsch erfüllt werde. Als Vorbereitung auf die Rückkehr der Banditen ernennt er den kleinwüchsigen Mordecai (Billy Curtis) zum Sheriff und Bürgermeister der Stadt, gibt den Leuten Anweisung, ihre Häuser rot zu streichen, und die Tischler sollen eine Scheune abreißen und aus den Brettern große Picknicktische bauen. Was die verwunderten Bewohner der Stadt nicht ahnen: Der Fremde hat seine eigenen Gründe für sein Vorgehen: Vor einem Jahr haben die anrückenden Revolverhelden nämlich den Marshall der Stadt ermordet, was die zuschauende Menge nicht nur geduldet, sondern sich auch gewünscht hat …
So wie sich bereits Sergio Leone in seiner epochalen „Dollar“-Trilogie bei Akira Kurosawas mystischen Samurai-Filmen bedient hat, greift auch Clint Eastwood auf die Wurzeln zurück, die ihn selbst zu einer Legende des Western-Darstellers gemacht haben. Indem sein „Fremder ohne Namen“ wie der von ihm dargestellte einsame Rächer in den Leone-Western die Zigarillo im Mund zu seinem Markenzeichen macht, verbeugt er sich ganz direkt vor seinem Lehrmeister, revidiert aber die von ihm und Regisseuren wie Sergio Corbucci („Django“) geprägte Tradition, ihre Protagonisten nur für materielle Belohnungen gegen das Böse kämpfen zu lassen. Zwar bietet Eastwoods Fremder ohne Namen den Bewohnern in Lago zunächst auch nur gegen materielle Güte seine Dienste an, doch stellt sich erst in der Schlussszene heraus, dass er eine eigene Agenda verfolgt hat, als er die einst prosperierende Kleinstadt in eine wahre Hölle verwandelt.
Die deutsche Synchronisation löst diese mythische Auslöschung der Sünder leider auf, indem der Fremde am Ende dem Kleinwüchsigen seinen Namen verrät und damit auch den Beweggrund für sein Handeln. Im amerikanischen Original bleibt Mordecais Frage nach dem Namen des Fremden unbeantwortet, der daraufhin wie ein Gespenst im Dunst der kargen Landschaft verschwindet. Eastwood erweist sich in seiner zweiten Regiearbeit auch noch als perfekter Handwerker, der das Drehbuch von Ernest Tidyman („French Connection“, „Shaft“) schnörkellos mit zynischem Humor und unverblümter Brutalität umgesetzt hat, wobei ihm Bruce Surtees („Dirty Harry“, „Beverly Hills Cop“) farbenprächtige Bilder und Dee Barton („Sadistico“, „Ein knallharter Bulle“) die sehr reduzierte, aber treffende musikalische Untermalung lieferten.
"Ein Fremder ohne Namen" in der IMDb

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