Das grüne Leuchten

In den insgesamt zwölf Filmen, die Éric Rohmer in seinen beiden Zyklen „Moralische Geschichten“ (1962 – 1972) und „Komödien und Sprichwörter“ (1981 – 1987) zusammengefasst hat, nimmt der 1986 entstandene fünfte Film des zweiten Zyklus, „Das grüne Leuchten“, eine Sonderstellung ein. Die in den ersten Werken aus der männlichen Perspektive geschilderten intellektuellen Diskurse über die Einstellungen zur Liebe sind seit „Die schöne Hochzeit“ (1982) zur weiblichen Sichtweise gewechselt, doch in „Das grüne Leuchten“ stehen dabei Einsamkeit und Hoffnung mehr im Fokus als die Liebe an sich.

Inhalt:

Die in Paris lebende und als Sekretärin arbeitende Delphine (Marie Rivière) erhält kurz vor ihrem Sommerurlaub eine Absage ihrer Freundin Sylvie, mit der sie eigentlich nach Griechenland reisen wollte. Da es in der Beziehung zu ihrem Freund auch nicht zum Besten steht, ist Delphine ratlos, was sie mit ihrem Urlaub anfangen soll. Dem Rat ihrer Freundinnen Manuella (María Luisa García), Beatrice (Béatrice Romand) und Françoise (Rosette) folgend, nimmt sie die Planung ihres wohlverdienten Urlaubs nun selbst in die Hand, begleitet Françoise zunächst zu Freunden in Cherbourg, wird mit den Menschen dort aber nicht so recht warm. Doch auch in den Alpen fühlt sie sich nicht wohl und reist fast umgehend nach ihrer Ankunft dort wieder nach Hause. Schließlich scheint die Touristenhochburg Biarritz der ideale Ort zu sein, um andere Menschen kennenzulernen. Tatsächlich vermag die lebensfrohe Schwedin Lena (Carita Holmström) Delphine aus ihrer Lethargie zu reißen, doch auf einen gemeinsamen Abend mit zwei jungen Männern, die sie in einem Café kennenlernen, mag sich Delphine auch nicht einlassen. Erst als sie am Bahnhof auf den Zug zurück nach Paris wartet, scheint sich das ihr von einer Wahrsagerin prophezeite Schicksal zu erfüllen, dass ihr die Farbe Grün zum Glück verhelfen werde, denn im Wartesaal lernt sie den sympathischen Jacques (Vincent Gauthier) kennen, der sie schließlich einlädt, mit ihm ein paar Tage in Saint-Jean-de-Luz zu verbringen. Als sie dort gemeinsam den Sonnenuntergang beobachten, klärt sie ihn über das eigenartige Phänomen, das das grüne Leuchten genannt wird, auf …

Kritik:

Nachdem es in den vorangegangen Werken seiner beiden Filmzyklen vor allem um die Möglichkeiten der portraitierten Menschen ging, die Kriterien abzuklopfen, nach denen zwischen verschiedenen möglichen Partnern auszuwählen gilt, woraus sich mannigfaltige und wechselhafte Affären ergaben, stellt sich für Delphine in „Das grüne Leuchten“ eine ganz andere Frage. Ihr geht es vornehmlich darum, Gesellschaft für ihren Urlaub zu finden, aber das stellt sich für die alles andere als kontaktfreudige Sekretärin als problematisch heraus.
So bedarf es zunächst der massiven Einwirkung ihrer Freundinnen, dass sie sich überhaupt aus Paris hinausbewegt, aber schon bei dem gemeinsamen Essen mit Françoises Freundin in der Normandie stellt sich heraus, dass sie etwas anders tickt, denn sie verweigert die angebotenen Koteletts, erzählt ihren Gastgebern, dass sie auch selten Fisch ist, sondern sich an pflanzlicher Nahrung ergötzt, aber sie möchte auch nichts extra zubereitet bekommen. Wie beim Essen stellt sich Delphine auch im gesellschaftlichen Kontext ins Abseits. Mit der lockeren Art, wie Françoise oder später in Biarritz auch Lena mit den Männern flirtet, kann sich Delphine überhaupt nicht anfreunden.
Vor allem an den überfüllten Stränden von Biarritz macht Rohmer im Wechsel zwischen der Totalen und Aufnahmen von Delphine inmitten der Menschenmenge am Wasser die Einsamkeit deutlich, unter der die junge Frau leidet. Aber Delphine verzweifelt nicht an ihrer misslichen Lage. Die Spielkarten, die ihr immer wieder mal auf dem Boden begegnen und deren Bedeutung ihr deutlich bewusst sind, weisen ihr ähnlich den Weg wie die Prophezeiung der Wahrsagerin.
Als Delphine in Biarritz ein Gespräch belauscht, das einige ältere Frauen und ein Mann über Jules Vernes Buch „Das grüne Leuchten“ und über das dort beschriebene gleichnamige wissenschaftliche Phänomen führen, bei dem im letzten Moment, in dem die Sonne am Horizont versinkt, bei bestimmten atmosphärischen Bedingungen kurz ein grünes Leuchten am Himmel zu sehen ist, ist sie ebenfalls überzeugt, dass sie dabei ihr eigenes Wesen und das anderer Menschen in völliger Klarheit zu erkennen vermag.
Auch wenn „Das grüne Leuchten“ lange Zeit recht trostlos wirkt und selbst die schöne Natur in der Normandie und den Alpen nicht dafür sorgen können, Delphines Einsamkeit zu durchbrechen, zahlt sich am Ende ihr Durchhaltevermögen und das Vertrauen in ihr vorherbestimmtes Glück aus. Wenn sie Delphine schließlich ihrer Bahnhofsbekanntschaft Jacques immer mehr öffnet, sind die zuvor vergossenen Tränen schon wieder vergessen, erweist es sich im Nachhinein als konsequent und richtig, dass sie sich nicht vorher auf Bekanntschaften eingelassen hatte, die ihr nichts bedeuteten. Marie Rivière („Die Frau des Fliegers“, „Herbstgeschichte“) trägt den Film nahezu allein auf ihren Schultern. Sie verkörpert überzeugend eine junge Frau, die zu ihren Idealen steht und trotz aller Entbehrungen so lange auf ihr Glück zu warten gewillt ist, bis es an die Tür ihres Herzens klopft. Rohmer hat dieses Ringen mit der Einsamkeit in fast dokumentarisch wirkenden, distanzierten Bilder eingefangen, die einmal mehr deutlich machen, dass es ihm nicht um die Personen an sich, sondern vor allem um Konzepte zu philosophischen Fragen geht.
"Das grüne Leuchten" in der IMDb

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