Sein Leben in meiner Gewalt

Der amerikanische Filmemacher Sidney Lumet (1924-2011) zählt zu den wichtigsten Regisseuren Hollywoods. Bereits mit seinem Kinodebüt „Die zwölf Geschworenen“ (1957) schuf er einen Klassiker des Justizthrillerdramas, dem er etliche weitere Meisterwerke wie „Serpico“, „Prince of the City“ und „The Verdict“ folgen ließ. 1973 entstand mit „Sein Leben in meiner Gewalt“ ein unbequemer, düsterer Psycho-Thriller, in dem Sean Connery groß aufspielt und der nun von Koch Media als Mediabook mit Blu-ray und DVD veröffentlicht wird.

Inhalt:

Nachdem drei Kinder misshandelt wurden, suchen Sergeant Johnson (Sean Connery) und seine Truppe fieberhaft nach dem Täter. Doch obwohl die dabei die umliegenden Schulen überwachen lassen, verschwindet ein weiteres Mädchen. Eine Zeugin, die von weitem beobachtet hat, wie ein Mann das Opfer auf dem einsamen Heimweg vor einem Tunnel anspricht, meldet sich aber erst Stunden später bei der Polizei. Währenddessen durchkämmen Johnson und seine Männer die Umgebung, wobei schließlich Johnson selbst das völlig verängstigte und misshandelte Mädchen im Gebüsch auffindet und es mit ins Krankenhaus begleitet, ohne aber eine Beschreibung des Täters zu erhalten. Also nehmen die Polizeibeamten die üblichen Verdächtigen ins Visier, befragt Spitzel und greift schließlich einen desorientiert wirkenden Mann auf, den die Beamten als Kenneth Baxter (Ian Bannen) identifizieren und für den möglichen Täter halten. Johnson knöpft sich den Verdächtigen in einem knallhart geführten Verhör vor und rastet völlig. Baxter wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Als Johnson erfährt, dass Baxter seinen Verletzungen erlegen ist, hat er zuhause bei seiner Frau Maureen (Vivien Merchant) versucht, ihr etwas von seinem zermürbenden Arbeitsalltag und den verstörenden Bildern in seinem Kopf zu erzählen. Vor Kriminaloberrat Cartwright (Trevor Howard) muss Johnson sich schließlich darüber äußern, wie es zu diesem tödlichen Vorfall gekommen ist …

Kritik:

Mit „Sein Leben in meiner Gewalt“ hat Meisterregisseur Sidney Lumet das 1968 im Londoner Royal Court Theatre uraufgeführte Theaterstück „This Story of Yours“ von John Hopkins verfilmt, der auch das Drehbuch zum Film verfasste. Dabei folgt der Film einer nicht chronologischen Dreiakter-Struktur, die mit der grell überstrahlten, in Zeitlupe festgehaltenen Szene beginnt, in der Johnsons Kollegen ins Verhörzimmer stürmen und den fassungslosen Johnson neben dem reglos am Boden liegenden Verdächtigen entdecken.
Nach diesem Prolog, der das Ende der Geschichte vorwegnimmt, werden die Ereignisse bis zu diesem tödlichen Zwischenfall wiederum chronologisch erzählt, beginnend mit der nicht lückenlos durchgeführten Überwachung der Schulen, dem Verschwinden des ganz in unschuldigem Weiß gekleideten Mädchens und der Heimkehr des aufgelösten Ermittlers, der im angetrunkenen Zustand seine Frau zunächst beleidigt und ihr dann versucht zu erzählen, welche Bilder sich im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit als Polizist in seinem Kopf festgesetzt haben, worauf sich seine Frau erst einmal übergeben muss. In dem anschließenden Verhör mit Cartwright wird schließlich in Rückblenden das eigentliche Verhör rekapituliert, das den Schlüssel zu Johnsons Verhalten offenbart. Denn Johnson muss während Baxters Verhör feststellen, dass er ebenso gut selbst das Mädchen misshandelt haben könnte. Diesen Eindruck vermittelt Lumet bereits in der Szene, in der Johnson das Mädchen im Gebüsch auffindet. Statt sich als Polizist zu erkennen zu geben, wirken seine Versuche, das geschändete Mädchen zu beruhigen, sehr unbeholfen, sein Blick wirkt eher wild als erschüttert. Sean Connery, dem dieser Film besonders am Herzen lag und den er sich von United Artists im Gegenzug für seine Rückkehr als James Bond in „Diamantenfieber“ finanzieren ließ, verkörpert den Mann, den die ständige Konfrontation mit Mord, Selbstmord, Vergewaltigung und Totschlag in seinem Berufsleben völlig abgestumpft hat, so überzeugend, dass er den Film nahezu allein auf seinen Schultern trägt. Doch ohne die ebenso eindrucksvolle Darstellung von Ian Bannen („Hoffnung und Ruhm“, „Braveheart“), der quasi Johnsons Abbild verkörpert, würde die tödliche Spirale der Gewalt längst nicht so dramatisch wirken.
Lumet findet immer wieder eindringliche Bilder für die Trostlosigkeit der Welt, in der sowohl Johnson als auch Baxter leben. Das fängt bereits mit dem tristen Panorama-Schwenk über das Gelände mit der überwachten Schule und den hässlichen Betonwüsten im Hintergrund vor dem grauen Himmel an und setzt sich über die erschreckenden Szenen in dem schmucklosen Polizeirevier und in Johnsons Zuhause fort. Besonders in der Gegenwart seiner Frau, der er offen ins Gesicht sagt, wie schlampig sie herumlaufe und dass sie alles andere als hübsch sei, wird deutlich, dass das Ehepaar über Jahre hinweg sprachlos nebeneinanderher gelebt hat, dass Johnson mit den Bildern seines Alltags immer ganz allein zurechtkommen musste.
Die stärksten Szenen bewahrt sich Lumet allerdings für das Gespräch zwischen Johnson und Cartwright auf, der sein Gegenüber offen als Versager bezeichnet. Indem Johnson das Verhör mit Baxter Revue passieren lässt, wird deutlich, wie ähnlich sich Baxter und Johnson letztlich sind, dass der Sergeant den Verdächtigen schlagen musste, weil er sich für sein eigenes Verhalten hasst.
Obwohl „Sein Leben in meiner Gewalt“ nicht zu Lumets und Connerys bekanntesten Werken zählt, zählt das verstörend intensive Psychothriller-Drama zu ihren jeweils besten Filmen.
"Sein Leben in meiner Gewalt" in der IMDb

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