Anatomie eines Mordes

Der in ganz unterschiedlichen Genres meisterhaft agierende Filmemacher Otto Preminger (1905-1986) hat nach einer Reihe von eindrucksvollen Film noirs wie „Laura“ (1944), „Mord in der Hochzeitnacht“ (1945), „Faustrecht der Großstadt“ (1950) und „Engelsgesicht“ (1953) nicht nur Musicals („Carmen Jones“, „Porgy und Bess“), sondern auch Western („Fluss ohne Wiederkehr“), romantische Komödien („Wolken sind überall“) und Dramen („Die heilige Johanna“, „Verdammt zum Schweigen“) inszeniert. 1959 entstand mit „Anatomie eines Mordes“ ein packendes Gerichtsdrama, in dem sich vor allem James Stewart und George C. Scott als gegnerische Anwälte ein faszinierendes Duell liefern. 

Inhalt: 

Seit Paul Biegler (James Stewart) seinen Posten als Staatsanwalt in einer Kleinstadt in Michigan abgeben musste, hält sich der Junggeselle als Anwalt mit wenig anspruchsvollen Aufträgen über Wasser und verbringt seine Zeit mit Klavierspielen, Jazz-Platten und Angeln. Sein väterlicher Freund und Kollege Parnell McCarthy (Arthur O'Connell) teilt mit ihm zudem eine Vorliebe für Whiskey. Etwas Abwechslung verspricht die Anfrage einer der attraktiven Laura Manion (Lee Remick), die Verteidigung ihres Mannes Frederick (Ben Gazzara) zu übernehmen. Der mehrfach mit Auszeichnungen bedachte Sergeant der US-Armee soll den Barbesitzer Barney Quill mit fünf Schüssen getötet haben, nachdem Quill Laura nach Hause bringen wollte und sie vergewaltigt haben soll. Als Laura ihrem Mann den Vorgang geschildert hatte, schnappte er sich sein Gewehr und erschoss den mutmaßlichen Vergewaltiger in dessen Bar. Biegler nimmt nach einem Sondierungsgespräch mit dem Angeklagten das Mandat an, obwohl Manion weder über das Geld für die vereinbarten dreitausend Dollar Honorar besitzt, noch eine sympathische Ausstrahlung besitzt. Biegler besteht darauf, dass McCarthy dem Whiskey abschwört und ihn bei der Verteidigung unterstützt. 
Doch beim Prozess bekommt es der unerfahrene Strafverteidiger nicht nur mit seinem Nachfolger als Staatsanwalt, Mitch Lodwick (Brooke West), zu tun, sondern auch mit dem routinierten Claude Dancer (George C. Scott) aus dem Büro des Generalstaatsanwalts … 

Kritik: 

Nach dem Roman „Anatomy of a Murder“ von John D. Voelker und dem Drehbuch von Wendell Mayes („Die Höllenfahrt der Poseidon“, „Ein Mann sieht rot“) hat Preminger ein Drama inszeniert, das mit zweieinhalb Stunden Laufzeit vielleicht etwas lang geraten scheint, aber nie Langeweile aufkommen lässt.  
„Anatomie eines Mordes“ nimmt sich viel Zeit, zunächst Bieglers Figur vorzustellen, einen Mann, der nach dem Verlust seines Jobs als Staatsanwalt resigniert und seinen Ehrgeiz verloren zu haben scheint. Statt sich um lukrative Aufträge zu kümmern, widmet er sich nur unkomplizierten Routineaufgaben und frönt seinen Leidenschaften. Erst die ebenso attraktive wie kokette Laura Manion kitzelt in dem allein lebenden Mann den Wunsch hervor, im Gerichtssaal seinen Mann zu stehen. Bereits bei den getrennt geführten Gesprächen mit Laura und ihrem inhaftierten Mann muss Biegler feststellen, dass es schwierig wird, Manion zu verteidigen. Da er die Tat zweifelsohne begangen hat, versuchen Biegler und McCarthy zu beweisen, dass Manion die Tat aus einem unwiderstehlichen Impuls heraus begangen habe, wozu sie auch einen Präzedenzfall ausmachen können. 
Doch vor allem der mit allen Wassern gewaschene Dancer setzt alles daran, den Geschworenen das Bild einer Frau zu vermitteln, die anderen Männern schöne Augen gemacht habe und von dem Ermordeten gar nicht vergewaltigt worden sei. Über Schuld oder Unschuld scheint allein die Antwort auf die Frage zu entscheiden, welcher Anwalt die Geschworenen besser für sich einnehmen kann. Preminger muss dabei nicht auf ausgefeilte filmische Mittel zurückgreifen, sondern inszeniert „Anatomie eines Mordes“ als fast schon kammerspielartiges Gerichtsduell, in dem der Angeklagte und dessen verführerische Frau sowie ihre Beziehung zueinander stets etwas undurchschaubar bleiben. 
James Stewart, der zuvor schon in Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“, „Der Mann, der zuviel wusste“ und „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ großartig spielte, liefert sich mit George C. Scott („Haie der Großstadt“, „Patton – Rebell in Uniform“) ganz wunderbare Dialoge im Gerichtssaal, Lee Remick („Das Omen“, „Getrennte Betten“) verkörpert überzeugend die Femme fatale und Ben Gazzara („Die Thomas Crown Affäre“, „Dogville“) nimmt man den heißblütigen, eifersüchtigen Ehemann ebenso gut ab. Dazu sorgt Eve Arden („Ehebruch“, „Solange ein Herz schlägt“) als Bieglers „unbezahlte“ Sekretärin für humorvolle Elemente in einem durchweg spannenden Justizdrama, in dem weniger die Wahrheit als die Überzeugungskünste der Anwälte und den Manions die Entscheidung über Schuld oder Unschuld herbeiführen.  

Kommentare

Beliebte Posts