Scarface
Obwohl Howard Hawks (1896-1977) so populäre Filme wie „Leoparden küsst man nicht“ (1938), „Sein Mädchen für besondere Fälle“ (1940), „Sergeant York“ (1941), „Haben und Nichthaben“ (1944), „Tote schlafen fest“ (1946), „Blondinen bevorzugt“ (1953) und „Rio Bravo“ (1959) inszeniert hat, durfte er nie den Oscar als bester Regisseur in Empfang nehmen und wurde erst durch die französischen Kritiker der „Cahiers du Cinema“ als Meister seines Faches gewürdigt. So schuf er bereits 1932 mit „Scarface“ ein bahnbrechendes Werk, das neben Mervyn LeRoys „Der kleine Casär“ und William A. Wellmans „Der öffentliche Feind“ (beide 1931) das Genre des Gangsterfilms begründete und 1983 von Brian De Palma mit Al Pacino in der Hauptrolle neu verfilmt worden ist.
Inhalt:
Nach einer Party wird Big Louis Costillo (Harry J. Vejar), der im Süden Chicagos herrschende Mafiaboss, von seinem ehemaligen Leibwächter Antonio „Tony“ Camonte (Paul Muni) im Auftrag von Costillos Konkurrenten Johnny Lovo (Osgood Perkins) erschossen, was einen Bandenkrieg um die Verteilung von Drogen und Alkohol in der Stadt auslöst. Lovo bringt nun mit Camontes Unterstützung den Süden unter seine Kontrolle, doch will Camonte noch höher hinaus. Hinter Lovos Rücken versucht Camonte zusammen mit seinem Freund Guino Rinaldo (George Raft), auch den Norden der Stadt unter seine Kontrolle zu bringen und legt sich dafür mit Gaffney (Boris Karloff) an, der selbst nicht zögert, Lovos Bande zu drangsalieren.
Camonte gefällt sich in der Rolle des aufstrebenden Gangsterbosses und kann selbst Lovos verwöhnte Geliebte Poppy (Karen Morley) für sich einnehmen. Auf der anderen Seite hat Camonte nicht nur mit der Kritik seiner Mutter an seinem schmutzig verdienten Geld zu kämpfen, sondern auch mit den Verehrern seiner gerade mal volljährigen Schwester Cesca (Ann Dvorak), die nicht nur Gefallen an den Reichtum ihres Bruders, sondern auch an dessen rechter Hand Rinaldo gefunden hat, mit dem sie sich während Tonys Abwesenheit einlässt.
Als Camonte in die Stadt zurückkehrt und von dem Verhältnis zwischen Cesca und Rinaldo erfährt, dreht er durch …
Kritik:
Wie schon zuvor bei „Der kleine Cäsar“ und „Der öffentliche Feind“ verhinderten die Zensurbehörden auch bei dem von Howard Hughes produzierten Film „Scarface“ eine Glorifizierung des Gangstertums, so dass der eigentlich schon 1930 fertiggestellte Film überarbeitet werden musste. Das betraf nicht nur die Darstellung roher Gewalt und korrupter Politiker, sondern auch die Rolle von Tonys Mutter, die ursprünglich stolz auf den Erfolg ihres Sohnes gewesen ist und nun in den von Richard Rosson nachgedrehten Szenen Tonys verbrecherischen Lebenswandel verteufelt.
Was „Scarface“ alias „Narbengesicht“ aber nach wie vor interessant macht, ist nicht allein der Bandenkrieg, bei dem massiv von Maschinengewehren Gebrauch gemacht wird, sondern die nahezu inzestuöse Beziehung zwischen Tony und seiner Schwester, mit der sich im Finale in seiner mit Stahltüren und Fensterläden gesicherten Luxus-Wohnung verbarrikadiert. Hawks und seine beiden Kameraleute Lee Garmes („Shanghai-Express“, „Marokko“) und L. William O’Connell („In jedem Hafen eine Braut“, „Vier Teufel“) arbeiten bereits mit eindrucksvollen Kontrasten und Schattenspielen, wie sie später im Film noir zur Anwendung kamen und verbinden die an Al Capone angelehnte Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Gangsters mit amourösen Nebenschauplätzen und nicht unbedingt passenden humoresken Einlagen, für die Camontes tollpatschiger Sekretär herhalten muss.
Paul Muni („Ich bin ein entflohener Kettensträfling“, „Das Leben des Emile Zola“) verkörpert das „Narbengesicht“ Tony Camonte mit charismatischer Präsenz, wobei er seine Figur gekonnt zwischen übermäßigem Ehrgeiz, großer Liebenswürdigkeit und Fürsorge sowie temperamentvollen Gewaltausbrüchen wandeln lässt. An seiner Seite überzeugen vor allem George Raft („Nachts unterwegs“) als Camontes bester Freund und Ann Dvorak („Der FBI-Agent“) als Camontes aufreizender Schwester.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen