Contra
Seit seinem Regiedebüt mit „Drei D“ (1988) hat Sönke Wortmann mit erfolgreichen Komödien wie „Kleine Haie“, „Der bewegte Mann“ und „Das Superweib“ kontinuierlich auf sich aufmerksam gemacht, bis er mit den beiden Fußball-Filmen „Das Wunder von Bern“ und „Deutschland. Ein Sommermärchen“ sowie der internationalen Großproduktion „Die Päpstin“ in die erste Regie deutscher Filmemacher aufstieg. Zuletzt feierte er mit „Der Vorname“, dem Remake des französischen Films „Le Prénom“ (2012), hierzulande einen großen Erfolg. Daran versucht Wortmann mit „Contra“ nahtlos anzuknüpfen – wieder mit Christoph Maria Herbst in einer Hauptrolle und wieder nach einer französischen Vorlage…
Naima (Nilam Farooq) studiert an der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main Jura im ersten Semester. Da sie frühmorgens schon in die Bresche springen muss, um ihren jüngsten Bruder bei der Tante abzugeben, kommt sie zu spät zur Vorlesung von Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst), der sie vor dem versammelten Auditorium rassistisch und sexistisch diskriminiert. Darüber ist nicht nur die in Deutschland aufgewachsene Marokkanerin empört. Ein von ihren Kommilitonen gefilmter Mitschnitt der Entgleisung vereint im Internet in kürzester Zeit 300.000 Klicks und führt zu einem Disziplinarverfahren gegen den Professor, der nicht zum ersten Mal wegen seiner Äußerungen in der Kritik steht.
Zum Glück hat Pohl in Universitätspräsident Alexander Lambrecht (Ernst Stötzner) einen wohlmeinenden Mentor, der dem früheren Top-Strafverteidiger einen Ausweg bietet: Pohl soll Naima auf den kommenden bundesweiten Debattierwettbewerb vorbereiten, um so seine Position in dem nachfolgenden Verfahren zu verbessern. Pohl lässt sich nur widerwillig auf diesen Vorschlag ein, doch ist ihm bewusst, dass ihm sein Fauxpas diesmal tatsächlich den Job kosten könnte.
Auch Naima ist wenig von dem Wiedergutmachungs-Angebot des Professors angetan, aber da sie zusehen muss, dass sie mit ihren beiden Brüdern und ihrer Mutter in Deutschland bleiben können, ergreift sie die Chance. Tatsächlich übersteht die zunächst unsicher auftretende Naimi nicht nur die Vorrunde, sondern entwickelt sich unter Pohls Anleitung zu einer selbstbewusst auftretenden Debattier-Expertin, die die beiden so unterschiedlichen Charaktere auch auf persönlicher Ebene näher zusammenbringt. Doch dann kommt Naima dahinter, warum Pohl sich ihrer wirklich angenommen hat…
Kritik:
Im Gegensatz zum Ensemble-Film „Der Vorname“ fokussiert sich Wortmanns nachfolgender Film „Contra“ ganz auf das ungleiche Duo des selbstgefälligen, aber sozial vereinsamten Jura-Professors und der muslimischen Studentin Naima, die alle Hände voll zu tun hat, dafür zu sorgen, dass das Bleiberecht für ihre Familie nicht ausläuft, dass ihr Bruder sich nicht immer auf krumme Touren einlässt und dass sie ihr Studium packt. Dazu gehört eben auch die Pflicht, ein Praktikum zu absolvieren, wozu sie allein wegen ihrer Herkunft keine Chance zu bekommen scheint. Wortmann führt vor allem Naimas herausfordernden Alltag vor, die Hetzerei zwischen Aushilfsjob, die Unterbringung ihres jüngsten Bruders und natürlich das Studium.
Da bleibt wenig Zeit, um auf dem Spielplatz vor der Plattenbausiedlung mal „Werwolf“ mit ihren Freunden zu spielen oder sich mit Mo (Hassan Akkouch) zu verabreden, zu dem sich mehr als nur eine Freundschaft entwickeln könnte. Doch Naima packt die Probleme letztlich ganz pragmatisch an. Dazu zählt eben auch der unliebsame Debattier-Wettbewerb, der ihre Chancen auf ein Praktikum und eine glänzende Karriere erhöhen würde. Die in Berlin geborene Nilam Farooq („Mein Blind Date mit dem Leben“, „Sweethearts“) stellt das sympathische Herz des Films dar. Vom ersten Augenblick an wünscht man sich, dass sie all ihre Herausforderungen meistert und ihr Leben selbstbestimmt leben kann.
Christoph Maria Herbst („Der Wixxer“, „Er ist wieder da“) ist die Idealbesetzung für den arroganten Professor, der mit seiner ausgefeilten, leicht verschmitzten Rhetorik stets Oberwasser zu behalten scheint. Während Wortmann skizzenhafte, aber eindrückliche Blicke in Naimas Alltag wirft, bleibt Pohl ein fast schon anonymer Akademiker, der abends allein beim Italiener speist und der erst spät eine familiäre Tragödie von sich preis gibt.
Seinen Unterhaltungswert bezieht „Contra“ natürlich aus dem Spannungsfeld zwischen den eigentlich diametral entgegengesetzten Figuren. Da prallen Alter und Jugend, Lebenserfahrung und jugendlicher Tatendrang, Wohlstand und Armut, Einsamkeit und Gemeinschaft aufeinander. Erst durch Pohls Anleitung nähert sich Naima intellektuell ihrem Mentor an und verkürzt Stück für Stück die tiefe Kluft zwischen sich und dem Professor. Doch diese Bewegung findet auch auf der anderen Seite statt, denn Pohl lernt durch die taffe Studentin, wie schwer es ist, sich in einem fremden Kulturkreis zu behaupten. Besonders gelungen ist Wortmann das erste Treffen der Vorbereitung auf den Debattierwettbewerb. Da darf Pohl kenntnisreich auf Schopenhauers Kunstgriffe bei der Rhetorik verweisen und seine Schülerin mit den ersten Kniffen vertraut machen. Später reduziert sich das Debatten-Thema auf einseitige, wenn auch gelungen inszenierte Vorträge, die Naima in verschiedenen Universitäten im Rahmen des Wettbewerbs halten darf. Das wirkt teilweise wie ein Werbefilm für die Deutsche Bahn, wenn Pohl und Naima entspannt in der 1. Klasse durch die Republik nach Heidelberg, Leipzig, Berlin und Köln reisen. Im Gegensatz zur französischen Komödie „Le Brio“, die 2018 unter dem Titel „Die brillante Mademoiselle Neïla“ in den deutschen Kinos lief, wirkt „Contra“ weitaus zahmer und vorhersehbarer, aber durch die grandios aufspielenden Darsteller unterhält „Contra“ von der ersten bis zur letzten Minute. Dazu regt der Film zum kritischen Nachdenken und Debattieren über kontroverse Themen an, was angesichts der Reduzierung der Kommunikation über soziale Medien mit Abkürzungen und Emojis erfrischend wirkt.
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