Nashville
Mit „M.A.S.H.“ (1970) thematisierte New-Hollywood-Mitbegründer Robert Altman den Irrsinn des Krieges, während „McCabe & Mrs. Miller“ (1971) die Besiedelung des Wilden Westens entglorifizierte. 1975 nahm sich der versierte Filmemacher die Musikszene in „Nashville“ vor und ließ mehr als zwanzig Einzelschicksale in einem Festival zur 200-Jahr-Feier kulminieren. Vor dem Hintergrund eines Präsidentschaftswahlkampfes für die Vorwahlen in Tennessee präsentiert sich Altmans Ensemble- und Musik-Film als wunderbares Zeugnis jener Zeit in der Country-Hochburg Nashville und kritische Auseinandersetzung mit der Kommerzialisierung der Musikszene.
Die Hochzeit der Country Music ist zwar längst vorbei, findet aber gerade in Nashville, Tennessee, noch immer viele Anhänger. Während der alternde Country-Star Haven Hamilton (Henry Gibson) im Studio einen Song für die bevorstehende 200-Jahr-Feier der USA einspielt, wird am Flughafen unter großem Medien- und Publikumsrummel die berühmte Sängerin Barbara Jean (Ronee Blakley) eingeflogen, wo sie nach der Landung vor den geladenen Gästen eine kurze Ansprache hält und dann spontan zu ihren Fans im abgesperrten Bereich gehen möchte. Auf dem Weg dorthin bricht sie jedoch ohnmächtig zusammen und wird ins Krankenhaus gebracht, wo sich nicht nur der Vietnam-Veteran Glenn Kelly (Scott Glenn) aufhält, sondern auch Mr. Green (Keenan Wynn) seine totkranke Frau besucht. Zwar ist auch seine Nichte Martha (Shelley Duvall) nach Nashville angereist, doch interessiert sich die junge Frau, die sich selbst L. A. Joan nennt, eher für die Stars, die zum Festival angereist sind.
Dort möchte auch die von Barbara Jean inspirierte Kellnerin Sueleen Gay (Gwen Welles) auftreten. Der bestens vernetzte Delbert Reese (Ned Beatty) ist ohnehin dabei, für John Triplette (Michael Murphy), den Manager des Wahlkampfes des unabhängigen Präsidentschaftskandidaten Hal Phillip Walker, das musikalische Programm für das Festival zusammenzustellen.
Im Vorfeld wird Sueleen Gay bei einem Club-Konzert allerdings gezwungen, einen Striptease hinzulegen. Tom Frank (Keith Carradine), Teil des bekannten Trios Bill (Allan F. Nicholls), Mary (Cristina Raines) und Frank, will am liebsten eine Solo-Karriere starten und unterhält Affären mit Bills Frau Mary, L. A. Joan und Reeses Frau Linnea (Lily Tomlin). Die BBC-Reporterin Opal (Geraldine Chaplin) soll über das Festival berichten und wird selbst immer mehr in den Strudel der Ereignisse hineingezogen…
Kritik:
Da Robert Altman das ursprüngliche Skript zu „Nashville“ nicht gefiel, schickte er Joan Tewkesbury („Diebe wie wir“, „Ein himmlischer Lümmel“) mit dem Auftrag nach Nashville, um dort ein Tagebuch über ihre Beobachtungen zu schreiben, die schließlich die Grundlage für das Drehbuch seines Films bilden sollten. Tatsächlich ist der fast schon dokumentarische Charakter von „Nashville“ dieser offenbar gut eingefangenen Erkenntnisse zu verdanken.
Wie in seinen späteren erfolgreichen Ensemble-Filmen wie „The Player“ und „Short Cuts“ macht sich Altman nicht die Mühe, allzu tief in seine vielfältigen Figuren einzutauchen, sondern sie als typische Akteure in einem speziellen Szenario zu integrieren. So wie es in „The Player“ der fadenscheinige Starkult in Hollywood und in „Prêt-à-Porter“ die Oberflächlichkeit der Mode-Welt gewesen ist, seziert der Filmemacher gekonnt die Träume von Menschen, die in Nashvilles Country-Szene Fuß fassen wollen oder dort ihrem vergangenen Ruhm nachtrauern. Während der alternde Haven Hamilton bereits die Augen auf seine Zukunft in der Politik richtet, will die untalentierte Sueleen nicht wahrhaben, dass sie nicht singen kann, von erfolgssüchtigen Typen wie Reese und Triplette aber schonungslos ausgenutzt wird. Die machen auch nicht davor Halt, Vereinbarungen mit Barbara Jeans Mann und Manager zu brechen, wobei sie keine Rücksicht auf die angeschlagene Gesundheit der Sängerin nehmen.
Überhaupt gilt stets das Motto: The show must go on. Das wird besonders im Finale deutlich, als ein Attentäter aus dem Publikum auf die Künstler auf der Bühne schießt und Hamilton skandiert, dass Nashville nicht Dallas sei, und die nächste Künstlerin auf die Bühne bittet. Für den gesellschaftspolitischen Hintergrund und damit als Rahmen für die Handlung dient die ungewöhnliche Wahlkampagne von Präsidentschaftsherausforderer Hal Phillip Walker, dessen Reden über Lautsprecher eines Vans durch die Straßen der Stadt hallen, der aber selbst nie in Erscheinung tritt. Mit seiner unorthodoxen Ansprache gewinnt Walker ungewöhnlich viele Anhänger und mobilisiert so den Widerstand gegen das Establishment – eben genau so, wie Altman als soweit wie möglich unabhängiger Filmemacher gegen das Studiosystem in Hollywood rebellierte.
Die Musik spielt natürlich eine große Rolle, die einzelnen Künstler sind gleich mit mehreren Darbietungen zu sehen und bilden ein weiteres Verbindungsglied zwischen den einzelnen Schicksalen, die sich nach Erfolg und Ruhm oder Liebe sehnen, dabei aber oft absolut rücksichtslos vor sich gehen. So wie Triplette bei der Zusammenstellung eines zugkräftigen Musik-Programms keine Skrupel kennt, nimmt der Singer/Songwriter Tom Frank keine Rücksicht auf seine Liebschaften. So ruft er bereits seine nächste Liebschaft an, bevor Linnea überhaupt sein Hotelzimmer verlassen hat.
„Nashville“ stellt weit mehr als nur ein vielschichtiges Portrait der Country-Metropole Nashville dar, sondern entlarvt die Musikszene der 1970er als rundherum kommerzialisiertes Unterfangen und macht die Diskrepanz zwischen dem amerikanischen Traum und seiner bitteren Realität deutlich.
Elliott Gold und Julie Christie sind übrigens in kurzen Cameo-Auftritten zu sehen, während Jeff Goldblum auf seinem Tricycle von Szene zu Szene fährt. All diese wunderbar eingefangenen Details und der schonungslose Blick auf die amerikanische Gesellschaft der 1970er Jahre machen „Nashville“ zu einem großartigen Film.
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