Short Cuts

Mit seinem 1992 inszenierten Ensemble-Drama „The Player“ rechnete Regie-Altmeister Robert Altman („M.A.S.H.“, „Nachville“, „Der Tod kennt keine Wiederkehr“) nicht nur gnadenlos mit dem Studio-System in Hollywood ab, sondern feierte auch ein glanzvolles Comeback, in dessen Folge sich für sein nachfolgendes, dreistündiges Episoden-Drama „Short Cuts“ die Stars förmlich die Klinke in die Hand gaben. Obwohl der Film keiner konventionellen Dramaturgie folgt, ist dem Mitbegründer der New-Hollywood-Bewegung ein fesselndes Drama um das Schicksal ganz gewöhnliche Leute gelungen. 

Inhalt: 

Bei einer Musikaufführung von Cellistin Zoe Trainer (Lori Singer) und dem Trout Quintet lernen der Arzt Dr. Ralph Wyman (Matthew Modine) und seine Frau, die Malerin Marian (Julianne Moore), das Paar Claire (Anne Archer) und Stuart Kane (Fred Ward) kennen und laden sie zum Essen ein. Sie wissen nicht, dass Claire ihren Lebensunterhalt als Clown verdient und der Handelsvertreter Stuart seit drei Monaten arbeitslos ist. Jedenfalls verspricht Stuart, von seinem geplanten Angelausflug einen Fisch zum Grillen mitzubringen. 
Als Stuart mit seinen beiden Freunden Gordon (Buck Henry) und Vern (Huey Lewis) eine abgelegene Stelle zum Angeln aufsucht, entdecken sie eine nackte Frauenleiche im Wasser, lassen sie aber bis zum nächsten Morgen dort liegen, da sie ohnehin schon tot sei. Schließlich wollen die drei Männer ihren Ausflug genießen, der sie vier Stunden Fußmarsch gekostet hat. Derweil wird der achtjährige Casey (Zane Cassidy) auf dem Weg zur Schule von Doreen Piggot (Lily Tomlin) angefahren. Die Kellnerin will den Jungen nach Hause bringen, doch Casey versichert ihr, dass ihm nichts fehle. Doch kaum ist er zuhause bei seiner Mutter Ann (Andie MacDowell) angekommen, legt er sich schlafen und wacht nicht mehr auf. Panisch ruft sie bei ihrem Mann Howard Finnigan (Bruce Davison) im Fernsehstudio an, der dafür sorgt, dass Casey ins Krankenhaus gebracht wird, wo Dr. Wyman sich um ihn kümmert. Fortan wachen die Finnigans am Bett ihres Jungen, wobei Howard überraschend Besuch von seinem Vater Paul (Jack Lemmon) erhält, der seine Frau und Howard vor langer, langer Zeit verlassen hat, nachdem ihn seine Schwägerin verführt und Howards Mutter sie in flagranti erwischt hatte. Paul nutzt die Gelegenheit, seinem Sohn die Ereignisse von damals zu erklären und ihn um Entschuldigung zu bitten. Obwohl der Jungen scheinbar keine Verletzungen davongetragen hat, ist Doreen von dem Vorfall noch stark mitgenommen, was sie ihrem Mann Earl (Tom Waits) erzählt. Seit Doreen ihn verdächtigt hat, dass er sich vor einiger an ihrer Tochter Honey Bush (Lili Taylor) verging, vergeht kaum ein Tag ohne Streit zwischen ihnen. Earl kehrt allerdings immer wieder zu Doreen zurück und verspricht, dass bessere Tage kommen werden. Honey will jedenfalls von ihrem verhassten Stiefvater nichts mehr wissen, ahnt aber nicht, dass ihr eigener Mann, der Maskenbildner Bill (Robert Downey Jr.), mit seinem Freund Jerry Kaiser (Chris Penn) ebenfalls jungen Frauen nachsteigt. Jerry verkraftet es kaum, dass er als Pool-Reiniger weniger verdient als seine Frau Lois (Jennifer Jason Leigh), die sich nicht nur um die Kinder kümmert, sondern nebenbei auch Telefon-Sex anbietet. Die Phantasien, die Lois bei den fremden Männern befriedigt, würde Jerry auch gern im eigenen Schlafzimmer mit seiner Frau ausleben. Statt sich näher mit dem eigenen Unglück auseinanderzusetzen, beobachtet er entsetzt, wie lieblos die Barsängerin Tess Trainer (Annie Ross) mit ihrer eigenen Tochter Zoe umgeht. Marian Schwester Sherri (Madeleine Stowe) ist mit dem Streifenpolizisten Gene (Tim Robbins) verheiratet, der seinen Job gern ausnutzt, um fremde Frauen kennenzulernen. Momentan unterhält er mit Betty Weathers (Frances McDormand) eine Affäre und flüchtet so vor seiner Frau, dem ewig kläffenden Hund und den drei Kindern. Bettys Ex-Mann Stormy (Peter Gallagher) ist alles andere als begeistert von Bettys Kapriolen und tobt sich während ihrer Abwesenheit in ihrer Wohnung auf eigene Weise aus… 

Kritik: 

Im Gegensatz zu „The Player“, wo viele Hollywood-Stars wie Anjelica Huston, Cher, Jeff Goldblum, John Cusack, Julia Roberts, Burt Reynolds, Bruce Willis und James Coburn in winzigsten Cameo-Auftritten zu sehen waren und das oberflächliche Gehabe im Promi-Zirkus vorgeführt wurde, blickt Altman mit „Short Cuts“ auf das Leben ganz gewöhnlicher Menschen mit ihren Problemen, Ängsten und Sehnsüchten. Obwohl durchgängig prominent besetzt, stellt Altman keinen der Stars und die von ihnen verkörperten Figuren in den Vordergrund, sondern inszeniert die Schicksale, die sich über die Laufzeit des Films hier und da immer mehr verknüpfen, als bunte Collage. 
Eingeleitet wird „Short Cuts“ mit einer beunruhigenden Beregnung von Obst- und Gemüseplantagen mit Insektiziden durch eine Flotte von Helikoptern, doch es wird schnell deutlich, dass die Bedrohung für das Allgemeinwohl weniger durch die auch von Fernseh-Moderator Howard Finnigan thematisierte Plage durch Fruchtfliegen erfolgt als durch die zwischenmenschlichen Probleme. 
Dabei hat sich Altman auf verschiedene Erzählungen des amerikanischen Schriftstellers und Dichters Raymond Carver (1938-1988) bezogen und vor allem die Beziehungsprobleme ganz unterschiedlicher Menschen in den Fokus gerückt. So spielen verschiedene Formen von Eifersucht einer Rolle, wenn Marian etwa vorwiegend Akte malt und von ihrem Mann beschuldigt wird, vor drei Jahren bei einer Party etwas mit einem anderen Mann gehabt zu haben, oder ihre Schwester Sherri sich mit den Affären ihres Mannes abgefunden zu haben scheint. Besonders rückt dieses Thema bei Lois und Jerry ins Zentrum, wenn die Telefon-Sex-Anbieterin beim Wickeln oder Füttern ihres Babys verschiedene sexuelle Praktiken durch den Telefonhörer beschreibt, Jerry aber im ehelichen Schlafzimmer nicht davon profitieren darf. 
Altman verknüpft all diese Schicksale auf meisterhafte Weise. Zwar werden die Handlungsstränge durch Unfälle, Verwüstung, Erdbeben und Tote auch dramatisiert, doch „Short Cuts“ würde auch ohne diese Elemente über die drei Stunden Laufzeit bestens unterhalten. Das liegt natürlich auch an dem fabelhaften Ensemble, das die Figuren absolut glaubwürdig verkörpert. Zusammengehalten von einem famosen Soundtrack und Altmans stilsicherer Inszenierung darf „Short Cuts“ getrost als Paradebeispiel für einen perfekten Ensemble-Film genannt werden.  

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