Antoine und Colette

Als François Truffaut 1959 sein Langfilmdebüt „Sie küssten und sie schlugen ihn“ in die Kinos brachte und mit dem Schicksal des 12-jährigen Protagonisten Antoine Doinel einen Teil seiner eigenen schwierigen Kindheit thematisierte, konnte noch niemand ahnen, dass der Filmemacher damit den Beginn einer Reihe von immerhin vier weiteren Filmen innerhalb von zwanzig Jahren ins Leben rief, in der Jean-Pierre Léaud als Antoine Doinel erwachsen wird. 1962 folgte mit dem halbstündigen Beitrag „Antoine und Colette“ zum international produzierten Episodenfilm „Liebe mit zwanzig“ die erste Fortsetzung.

Inhalt: 

Nachdem Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) aus dem Internat geflohen ist, in das ihn seine Eltern abgeschoben hatten, lebt er als 17-Jähriger in einem Zimmer am Place Clichy, wo er schon zum morgendlichen Aufstehen Opern- und Klassikmusik hört, und bei Philips in der Schallplattenproduktion arbeitet. Mit seinem alten Schulfreund René (Patrick Auffay) besucht er gern Konzerte und plaudert über Mädchen. Bei dem Besuch eines Berlioz-Konzerts wird Antoine auf die Schülerin Colette (Marie-France Pisier) aufmerksam und passt bei mehreren folgenden Fast-Begegnungen die Gelegenheit ab, sie anzusprechen. Tatsächlich freundet er sich mit Colette an, doch macht das Mädchen keine Anstalten, auf Antoines Annäherungsversuche einzugehen. Dafür wird Antoine von Colettes Familie sehr warmherzig aufgenommen und immer wieder zum Abendessen eingeladen. Sein Plan, durch einen Umzug in eine Wohnung gegenüber von Colettes Familie einen besseren Zugang zu seiner Angebeteten zu bekommen, erfüllt sich jedoch nicht. Viel mehr zieht sich Colette umso mehr zurück, je mehr Antoine ihre Bindung zu intensivieren versucht. Obwohl er und Colette sich nur noch gut verstehen, möchten die Eltern ihn als einen Ersatzsohn haben. Alle Hoffnungen gehen dahin, als Colette sich während des familiären Abendessens mit Antoine von einem älteren Mann abholen lässt… 

Kritik: 

Eigentlich fühlte sich Truffaut nach Beendigung der Dreharbeiten zu „Jules und Jim“ zu erschöpft, um gleich darauf seinen Teil zu dem Episodenfilm „Liebe mit zwanzig“ beizusteuern, an dem außerdem Renzo Rossellini, Shintarô Ishihara, Marcel Ophüls und Andrzej Wajda mitwirkten, doch dann reizte es ihn einfach zu sehr, die Geschichte von Antoine Doinel weiterzuerzählen, der sich in Truffauts Beitrag „Antoine und Colette“ im Alter von 17 Jahren völlig von seinen Eltern losgelöst hat, sein eigenes Geld verdient und weiterhin am liebsten mit seinem Schulfreund René abhängt. 
So simpel die Geschichte von Antoines Werben um Colette auch ist, fängt Truffaut doch einmal mehr gekonnt das Lebensgefühl im Paris Anfang der 1960er Jahre ein. Fast schon anachronistisch wirken die Bilder von der noch stark manuell geprägten Schallplattenproduktion. Und auch die authentischen Aufnahmen des Pariser Lebens auf den Straßen, in den Bars und Cafés versprühen einen nostalgischen Charme, der bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat, was auch auf die Zeugnisse der damaligen Jugendkultur zutrifft. 
Truffaut hat wie schon bei „Sie küssten und sie schlugen ihn“ seine eigenen Lebenserfahrungen als junger Mann verarbeitet, nämlich seine Begegnung mit Liliane Litvin, die er in der Cinémathèque Française kennenlernte, worauf er seine Stelle als Schweißer in einer Vorstadt-Fabrik aufgab und zurück nach Paris zog, um ihr nahe zu sein. Wie Antoine nahm er eine Wohnung gegenüber der ihrigen, sodass er all ihre Aktivitäten beobachten konnte. Am Ende war sie weder an ihm noch an seinen Freunden interessiert. Sechs Jahre später folgte mit „Geraubte Küsse“ der nächste Film des Antoine-Doinel-Zyklus. 

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