Die süße Haut

Fast scheint es, als hätte Francois Truffaut nach seinen ersten aufregend neuen, frischen Filmen „Sie küssten und sie schlugen ihn“ (1959), „Schießen Sie auf den Pianisten“ (1960) und „Jules und Jim“ (1962) seinen Esprit verloren, als er 1964 seinen vierten Langfilm „Die süße Haut“ präsentierte. Natürlich steht einmal mehr die Liebe im Zentrum der Geschichte, diesmal jedoch mit einem anderen Schwerpunkt, wie Truffaut bemerkte. Bei der Uraufführung des Films auf den Filmfestspielen in Cannes hagelte es fast ausnahmslos Kritik, im Kino floppte „Die süße Haut“. Und doch erweist sich Truffaut hier einmal mehr als Meister der Inszenierung ganz gewöhnlicher Gefühle. 

Inhalt: 

Der wohlhabende, auch aus dem Fernsehen bekannte Literaturkritiker und Autor Pierre Lachenay (Jean Desaily) hat gerade mal 40 Minuten Zeit, um sich nach seinem Tag im Büro von seiner Frau Franca (Nelly Benedetti) und seiner kleinen Tochter zu verabschieden und sich von seinem Freund Clément (Daniel Ceccaldi) zum Flughafen in Orly bringen zu lassen. In Lissabon soll Lachenay nämlich zu seinem gleichnamigen Buch einen Vortrag über „Balzac und das Geld“ halten. Während des Fluges wird Lachenay kurz auf die Flugbegleiterin Nicole (Françoise Dorléac) aufmerksam, die ihrerseits mit ihm Blickkontakt sucht, die ihn aus dem Fernsehen kennt. Beim Verlassen des Flugzeugs in Lissabon werden Lachenay und Nicole zusammen fotografiert, bevor sie sich auf getrennten Wegen im gleichen Hotel landen. 
Als er ihr im Fahrstuhl begegnet, reift ihn ihm bereits der Entschluss, mit ihr anzubandeln. Er ruft sie mitten in der Nacht auf ihrem Zimmer an und verabredet sich schließlich am nächsten Tag mit ihr. Pierre verliebt sich in die 20 Jahre jüngere, lebenslustige Frau und verbringt eine Liebesnacht mit ihr. Zurück in Paris setzen Lachenay und Nicole ihre Affäre fort. Als der Autor in Reims einen Film über André Gide vorstellen soll, nutzt er die Reise, um ein paar Tage ungestört mit Nicole verbringen zu können, doch nehmen ihn die Organisatoren der Filmvorführung so in Anspruch, dass sich Nicole vernachlässigt fühlt und erste Risse in der Beziehung zwischen dem Intellektuellen und der Stewardess entstehen. Lachenay gelingt es jedoch, Nicole wieder gnädig zu stimmen, als er mit ihr im Anschluss an den Vortragsabend in ein Landhotel fährt. Als Pierre aber seine Frau Franca anruft, erfährt er, dass diese nicht nur versucht hat, ihn zu erreichen, sondern ihn auch verdächtigt, fremdzugehen… 

Kritik: 

Wie in früheren Filmen basiert auch „Die süße Haut“ teilweise auf realen Ereignissen. Seinen Protagonisten hat er als Synthese aus einem leicht charmanten, aber nicht besonders sympathischen Genfer Rechtsanwalt und dem angesehenen, recht angenehm wirkenden Literaturkritiker Henri Guillemin angelegt, wobei Truffaut mit der gängigen Praxis brechen wollte, die Geliebte als personifizierte Sinnlichkeit darzustellen und die spröde Ehefrau zur Nebenfigur zu degradieren. Tatsächlich nimmt Lachenays Affäre mit der jungen Stewardess ebenso viel Raum in der Erzählung ein wie die nach Bekanntwerden der außerehelichen Aktivitäten schwieriger werdende Ehe. Truffaut demonstriert hier einmal mehr seine Faszination für weibliche Formen, wenn Lachenay seine Geliebte darauf hinweist, dass er sie lieber in Kleidern sähe als in Jeans, worauf sie sich an der Tankstelle umgehend umzieht und der Autor wohlwollend seinen Blick über die schönen Beine gleiten lässt. Lachenay erweist sich allerdings als wenig zielstrebig, was seine Absichten betrifft. 
Immer wieder lässt er sich auf ein leidenschaftliches Stelldichein mit seiner Frau ein, die abwechselnd distanziert abweisend und dann wieder hemmungslos fordernd auftritt und ihre Enttäuschung am Ende in einem gewaltsamen Akt entlädt. Im Gegensatz zu ihrem schwächlichen Mann, der es sowohl seiner Geliebten als auch seiner Frau recht zu machen versucht, kann Franca mit Kompromissen nicht umgehen. Zwischen diesen beiden starken Frauen gerät der in Frauendingen ungeschickte Autor vollkommen unter die Räder, womit Truffaut eine trostlosere Liebesgeschichte präsentiert als in seinen vorangegangenen Werken. 

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