Der Sträfling und die Witwe

Seit seinem ikonischen Auftritt in Jean-Pierre Melvilles Thriller „Der eiskalte Engel“ (1967), in dem Beziehungs-Drama „Der Swimmingpool“ und dem Mafia-Thriller „Der Clan der Sizilianer“ (beide 1969) konnte sich der französische Filmstar Alain Delon quasi seine Rollen aussuchen. 1971 entschied er sich für ein ungewöhnlich ruhig inszeniertes Drama nach einem Roman von Georges Simenon„Der Sträfling und die Witwe“

Inhalt: 

Mit nur einer kleinen Tasche als Gepäck wandert Jean (Alain Delon) im Jahr 1934 eine Dorfstraße irgendwo in der französischen Provinz entlang und beobachtet, wie ein vollbesetzter Bus ein Stück voraus hält und eine ältere Frau aussteigt, die sich ihm wenig später als Witwe „Tati“ Couderc (Simone Signoret) vorstellt, nachdem er ihren schweren Brutapparat in ihr nahe gelegenes Landhaus getragen hat. Nachdem sie ihren offenbar versoffenen Ehemann überlebt hat, dem sie keine Träne nachweint, lebt nur noch ihr schwerhöriger Schwiegervater Henri (Jean Tissier) bei ihr. Aber den Hof und das Land bewirtet Tati nahezu allein, weshalb sie Jean für einige Tage einen Job anbietet. Er bekommt mit, dass die gegenüber mit ihrem Mann lebende Schwägerin seiner Hausherrin, Françoise (Monique Chaumette), alles versucht, ihr den Hof wegzunehmen, da sie der Ansicht ist, ihr Bruder habe unter Tati gelitten. Dass mit dem ebenso attraktiven wie tüchtigen Jean ein neuer Mitspieler aufgetaucht ist, sorgt für eine Veränderung der innerfamiliären Dynamik. Nicht nur wird der aus dem Zuchthaus kommende Jean mit größtmöglichem Argwohn unter den Dorfbewohnern betrachtet, er lässt sich auch auf eine Affäre mit Félicie (Ottavia Piccolo) ein, obwohl er bereits mit der Witwe das Bett geteilt hat. Tatis minderjähriger Nichte hat bereits ein Baby aus einer unehelichen Liaison und sucht bei den regelmäßigen Tanzabenden im Dorf nach neuer Gesellschaft. Als es den Erbschleichern doch gelingt, das Familienoberhaupt auf ihre Seite zu ziehen, hetzen sie – mit Félicies Unterstützung - die Behörden auf Jean… 

Kritik: 

Pierre Granier-Deferre („Die Katze“, „Stern des Nordens“) hat mit „La veuve Couderc“ eine recht beschauliche, zeitlos wirkende Milieustudie inszeniert, die ebenso in den 1930er wie in den 1970er Jahren angesiedelt sein könnte, denn die Themen, mit denen der Filmemacher hier jongliert, sind ebenso zeitlos: Rache, Eifersucht, Neid und Liebe. Die Ankunft eines vermeintlichen Landstreichers, der sich als Flüchtling aus dem Zuchthaus entpuppt, bringt das empfindliche Gleichgewicht innerhalb der Dorfgemeinschaft durcheinander. 
Da tuscheln die Alten über den jungen Mann, den sich die Witwe Couderc ins Haus geholt hat, da wird intrigiert, um der Witwe Haus und Hof, auf dem sie ihr Leben lang geschuftet hat, wegzunehmen, da gerät die minderjährige und offenherzige Félicie in den Strudel von Leidenschaft und Eifersucht. 
Inszenatorisch gibt sich Granier-Deferre keine Blöße, wagt keine Experimente, passt sich den biederen Verhältnissen in dem Dorf an. Da die Geschichte auch in jeder Hinsicht vorhersehbaren Pfaden folgt, liegt es an den beiden großartigen Darstellern Simone Signoret, mit der der Regisseur zuvor schon „Die Katze“ realisiert hat, und Alain Delon, dass das Interesse an dem Film aufrechtgehalten wird. Natürlich sorgen auch die erotischen Szenen zwischen Delon und Ottavia Piccolo („Der Leopard“, „Metello“) für etwas Abwechslung in dem sonst unaufgeregt in schmutzigen Braun- und Grüntönen gedrehten Drama – bis zum vorhersehbaren Finale, in dem auch klassische Thriller-Elemente ausgespielt werden. Neben den Darstellerleistungen ist vor allem die Musik von Philippe Sarde hervorzuheben, die mit ihren melancholischen Melodien bereits das Schicksal des Sträflings und der Witwe vorwegnimmt. 

Kommentare

Beliebte Posts