Sie küssten und sie schlugen ihn

Bereits als Filmkritiker der einflussreichen Zeitung „Cahiers du cinéma“ rechnete François Truffaut in den 1950er Jahren mit vielen zeitgenössischen französischen Filmemachern ab und nahm nach einigen vielversprechenden Kurzfilmen 1959 die Möglichkeit wahr, sein immenses Filmwissen und seine eigene Idee vom Filmemachen in seinem ersten Langfilm „Sie küssten und sie schlugen ihn“ umzusetzen. Mit seinem dem neorealistischen Ansatz wirkte Truffauts Debüt zusammen mit Godards ebenfalls 1959 realisierten „Außer Atem“ als Triebfeder für die sogenannte „Nouvelle Vague“. 

Inhalt: 

Der Teenager Antoine Doinel (Jean-Pierre Léaud) lebt im Paris Ende der 1950er Jahre zusammen mit seiner lieblosen Mutter Gilberte (Claire Maurier) und seinem kumpelhaften Stiefvater Julien (Albert Rémy) in beengten Verhältnissen und muss wegen seiner Aufmüpfigkeiten auch in der Schule immer wieder Prügel einstecken. Allein die Freundschaft mit dem aus reichem Hause stammenden René Bigey (Patrick Auffay) gibt Antoine etwas Halt im Leben. Allerdings beginnt er, die Schule zu schwänzen, und gibt als Entschuldigung den Tod seiner Mutter an. Als diese Lüge auffliegt, drohen bereits die nächsten Konsequenzen, doch da Antoine während des Schuleschwänzens seine Mutter zärtlich mit einem anderen Mann vereint auf der Straße sah, gibt sie sich zunächst versöhnlich und bietet dem Jungen sogar eine Belohnung von 1000 Franc an, wenn er sich in der Schule bessern würde. 
In dem Bestreben, den besten Aufsatz über ein „beeindruckendes Erlebnis“ abzuliefern, schreibt Antoine von Honoré de Balzac ab und verarbeitet darin den Tod seines Großvaters, doch fällt seinem Lehrer der Betrug sofort auf. Am liebsten will Antoine weder mit seinem Zuhause noch der Schule etwas zu tun haben und findet zunächst bei René Unterschlupf, dessen Eltern sich ebenso kaum um ihr Kind kümmern. Als Antoine zusammen mit seinem Freund aus der Firma seines Steifvaters eine Schreibmaschine stiehlt und sie nicht wie geplant bei einem Hehler losschlagen kann, wird er beim Zurückbringen des Diebesguts erwischt und vom Stiefvater der Polizei übergeben. Völlig entnervt wollen die Doinels Antoine in ein Erziehungsheim abschieben… 

Kritik: 

François Truffaut bezog die Ideen zu seinen Filmen nicht allein aus dem reichhaltigen Fundus der Filme, die er bereits als Kind gesehen hatte – mit teilweise drei Filmen pro Tag -, sondern auch aus der eigenen Biografie, was gerade dem Langfilmdebüt des damals 27-Jährigen eine besondere Authentizität verleiht. Nachdem er bereits in seinen Kritiken beanstandete, wie idealistisch und heuchlerisch seine Regiekollegen die Kindheit im Nachkriegs-Frankreich gezeichnet haben, fokussiert sich Truffaut in „Sie küssten und sie schlugen ihn“ auf die unmittelbaren Lebenswelten eines Teenagers, also das Zuhause, die Schule, die Straße und das Kino. 
Mit wenigen authentischen Kulissen gelingt es Truffaut, seinem Publikum umgehend eine Identifikationsfigur vorzustellen und Erinnerungen an die eigene Kindheit wachzurufen. Truffauts einfühlsames Kindheitsportrait zeigt auf, wie sehr die Erwachsenen ihre Fürsorgepflicht vernachlässigen oder in falsche Bahnen lenken. Die Schläge und die laute Kritik von Eltern und Lehrern lassen Antoine sich unverstanden und ungeliebt fühlen, so dass er nur noch weglaufen und unter seinesgleichen sein will. 
Es fällt nicht schwer, die Parallelen zu Truffauts eigener Kindheit zu entdecken: So war Truffaut mit elf Jahren ebenfalls von zu Hause weggelaufen und legte sich häufiger mit Lehrern an. Sein Vater schickte ihn nach kleineren Diebstählen zeitweise in ein Heim am Meer. Das Meer wiederum wurde für Truffaut, ähnlich wie für Antoine in der Schlussszene, zu einem Symbol der Freiheit. Später setzte Truffaut den sogenannten Doinel-Zyklus mit den Filmen „Antoine und Colette“, „Liebe mit Zwanzig“, „Geraubte Küsse“, „Tisch und Bett“, „Liebe auf der Flucht“ fort. 

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