Enemy
Durch seine Science-Fiction-Filme „Arrival“ (2016), „Blade Runner 2049“ (2017) und die Neuverfilmungen von Frank Herberts Klassiker „Dune – Der Wüstenplanet“ (2021 und 2024) zählt der Kanadier Denis Villeneuve derzeit zu den angesagtesten Filmemachern weltweit. Dabei hat er seine Klasse bereits 2013 unter Beweis gestellt, als er jeweils mit Jake Gyllenhaal die beiden Thriller-Dramen „Prisoners“ und „Enemy“ inszenierte. Während „Prisoners“ aber noch eher klassischen Strukturen folgte, erwies sich „Enemy“ als visuell beeindruckendes und intellektuell anspruchsvolles Drama, das für vielerlei Deutungen offen ist.
Inhalt:
Adam Bell (Jake Gyllenhaal) ist Professor für Geschichte an der Universität Toronto und führt ein ereignisarmes Leben zwischen ständig gleichen Vorlesungen über Totalitarismus und aggressivem, unbefriedigendem Sex mit seiner kühlen Freundin Mary (Mélanie Laurent) in seinem steril wirkenden Apartment. Erst als Adam von einem Kollegen einen Film empfohlen bekommt und abends gelangweilt die DVD in seinen Laptop schiebt, ändert sich sein Leben. Im Traum kehrt Adam nämlich zu einer Szene in dem Film zurück, in der er den im Hintergrund grinsenden Darsteller eines Hotelpagen als Spiegelbild seiner selbst entdeckt. Als er aus dem Traum erwacht, beginnt Adam über den Kleindarsteller zu recherchieren. Er sucht die Agentur von Daniel Saint Claire auf, worauf schon der Portier ihn für den Schauspieler hält und ihm einen vertraulichen Brief aushändigt. Adam erfährt die Anschrift und den bürgerlichen Namen des Adressaten: Anthony Claire.
Als er bei ihm anruft, meldet sich Anthonys Ehefrau Helen (Sarah Gadon), die an der Stimme ihren Ehemann zu erkennen glaubt, der ihr offenbar einen Streich spielen will. Als Adam erneut anruft, spricht er mit Anthony und erklärt sich. Anthony erzählt Helen, dass ein Idiot angerufen habe, der sich für einen Doppelgänger seiner selbst halte. Doch die schwangere Helen glaubt ihm nicht, sie bezichtigt Anthony einer Affäre und hält den ominösen Anrufer für einen eifersüchtigen Ehemann. Sie findet Adams Namen und Arbeitsplatz heraus und sucht ihn auf. Erschüttert entdeckt sie, dass er ihrem Mann tatsächlich bis aufs Haar gleicht, gibt sich aber nicht zu erkennen.
Tage später treffen sich Adam und Anthony in einem Vorstadthotel und stellen fest, dass sie sich vollkommen gleichen. Adam gibt seinem Doppelgänger den vertraulichen Brief und setzt damit ungeahnte Ereignisse in Gang…
Kritik:
Mit der Verfilmung des 2002 veröffentlichten Romans „Der Doppelgänger“ des portugiesischen Literaturnobelpreisträgers José Saramago (1922-2010) erweist sich Denis Villeneuve als mutiger, audiovisuell ambitionierter Filmemacher, der keine Scheu zeigt, sein Publikum herauszufordern und am Ende ratlos oder sogar verstört zurückzulassen. Bereits der smogverhangene, trostlose Blick auf die Stadt Toronto zu Beginn und die Auftaktszene mit einer nackten Frau, die in einem dunklen Hinterzimmer vor einer Schar lüsterner Kerle tanzt und dabei eine riesige Vogelspinne mitwirken lässt, sorgt für erste Irritationen, die mit der Beschreibung von Adams trostlosem Alltag zwischen Universität, heimischen Korrekturarbeiten und auf routinierten Sex reduzierten, ansonsten fast wortlosen Beziehung zu seiner Freundin nicht unbedingt abgebaut wird, zumal sich das im Roman nicht vorhandene Spinnenmotiv wie ein Leitmotiv durch die weitere Handlung zieht.
Bewegung kommt natürlich durch das Mit- und Gegeneinander der beiden Doppelgänger ins Spiel, die einander zwar optisch gleichen, aber zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten sind – mit Berufen und Frauen, die ebenfalls gegensätzlicher nicht sein könnten.
Durch die gelbliche Sepia-Tönung und die surreale Atmosphäre des Films fühlt sich der Zuschauer stets in die verstörenden Welten von David Cronenberg oder David Lynch versetzt, wobei sich die Interpretationsversuche vornehmlich um die Natur der beiden Doppelgänger-Figuren ringen. Das ist vor allem von Jake Gyllenhaal („Donnie Darko“, „Nightcrawler“) grandios gespielt, aber die herausragende Leistung gebührt vor allem Villeneuve, der sich weitgehend von der Romanvorlage entfernt hat, um seine eigene, audiovisuell bestechende Metaerzählung zu Themen wie Identität, Traum und Realität, Kontrolle und Kontrollverlust zu präsentieren.
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