Jules und Jim

Als François Truffaut 1960 seinen zweiten Film „Schießen Sie auf den Pianisten“ realisierte, nahm er sich aus der Romanvorlage des US-amerikanischen Noir-Autoren David Goodis nur die Elemente, die ihm für seine eigene Geschichte passend erschien. Ähnlich verhielt es sich bei „Jules und Jim“ (1962), Truffauts Adaption von Henri-Pierre Rochés gleichnamigen Roman, in dem Roché seine enge Freundschaft mit seinem deutschen Kollegen Franz Hessel und dessen späterer Ehefrau Helen Grund als vielschichtige Dreiecksbeziehung verarbeitet hat. 

Inhalt: 

1912 folgt der Österreicher Jules (Oskar Werner) der Einladung des Franzosen Jim (Henri Serre) zu einem Künstlerball in Paris, worauf sich eine enge Freundschaft zwischen den beiden Künstlernaturen entwickelt. Sie diskutieren über Kunst und Literatur, bleiben bei allen gemeinsamen Gedankenwelten – auch hinsichtlich des weiblichen Geschlechts - aber beim distanzierten „Sie“. 
Die Freundschaft zwischen dem lebhaften Jim, der in Gilberte (Vanna Urbino) bereits eine Geliebte hat, und dem ernsthaften und ruhigen Jules wächst nicht nur an ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten, sondern auch an ihrer Fähigkeit, sich an den scheinbaren Nichtigkeiten des Lebens zu erfreuen und einander die besten Zuhörer zu sein, die man sich nur vorstellen kann. Jims Bemühungen, auch für seinen Freund eine Frau zu finden, schlagen zunächst allesamt fehl, doch bei der Dia-Präsentation eines Freundes sind sowohl Jim als auch Jules von dem Antlitz und vor allem von dem geheimnisvollen Lächeln einer Frauenbüste fasziniert, die sie bei einer Reise an die Adria im Original betrachten wollen. 
Als sie wenig später beim Besuch dreier Damen in dem Lächeln der schönen Französin Catherine (Jeanne Moreau) genau dieses Lächeln wiedererkennen, verlieben sich die beiden Freunde sofort in die lebensfrohe und intelligente Frau, die sich schließlich für Jules entscheidet und mit ihm nach der Hochzeit in den Schwarzwald zieht. Durch den Krieg bricht der Kontakt zunächst ab, und als Jim die junge Familie nach dem Krieg im Schwarzwald besucht, muss er feststellen, dass die Ehe zerrüttet ist und er selbst wieder Chancen für eine Beziehung mit Catherine hat. 
Tatsächlich lässt sich Catherine auf eine von Jules geduldete Affäre mit ihm ein, doch erweist sich die Ménage-à-trois als problematisch, vor allem, als Jules wieder nach Paris zu seiner Langzeitgeliebten zurückkehrt… 

Kritik: 

Für Truffaut stellte sein dritter Film „Jules und Jim“ eine Hymne an das Leben und den Tod dar, symptomatisch durch das Lied „Le Tourbillon de la vie“ („Der Strudel des Lebens“) von Serge Rezvani verkörpert, der als Albert den Gesang von Catherine an der Gitarre begleitet. Aber natürlich geht es vor allem auch um die Liebe und alternative Möglichkeiten zu einer traditionellen Paarbeziehung, so wie Truffaut (zusammen mit seinen Kollegen der Nouvelle Vague wie Godard, Rivette, Rohmer und Chabrol) auch neue Möglichkeiten des Filmemachens zu entdecken versuchte. 
Auch wenn die beiden Freunde Jules und Jim dem Filmtitel entsprechend zunächst im Vordergrund der Geschichte stehen, entwickelt Jeanne Moreau („Die Liebenden“, „Fahrstuhl zum Schafott“) als Catherine die Sogkraft einer Femme fatale, die mit ihrem unnachgiebigen Verlangen nach Liebe und Anerkennung die Freundschaft von Jules und Jim sukzessive ruiniert. 
Anfang der 1960er Jahren war eine derartig wankelmütige, einer eigenen Dynamik folgenden Dreierbeziehung natürlich skandalös, weshalb „Jules und Jim“ zur Veröffentlichung nur eine Freigabe ab 18 erhielt. Mittlerweile wirkt die Aufarbeitung des Themas zwar antiquiert, doch geblieben ist die Meisterschaft, mit der Truffaut die drei Figuren miteinander agieren und bis zum tragischen Finale in Wechselbäder der Gefühle tauchen lässt. Für eine besondere Authentizität sorgen einmal mehr die Drehorte und die Verwendung von Archivaufnahmen des Vorkriegs-Paris und des Krieges, der weniger durch Schlachtenszenen thematisiert wird als durch die Angst der Freunde, sich gegenseitig zu töten, da sie auf verschiedenen Seiten stehen. Was folgt, ist eine einfühlsam inszenierte Geschichte, in denen Jules, Jim und Catherine alles durchleben, was das Leben und die Liebe für sie bereithält. 

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