Schießen Sie auf den Pianisten
Mit seinem Langfilmdebüt „Sie küssten und sie schlugen ihn“ (1959) avancierte François Truffaut zusammen mit Jean-Luc Godard nicht nur zum Aushängeschild der Nouvelle Vague, in der sich der Filmemacher als Auteur sah und einen natürlicheren Ansatz beim Filmemachen verfolgte, sondern er trug auch zu einer Orientierung der Gesellschaft zu einer jugendorientierten Kultur bei und war sowohl in den USA als auch bei den Filmfestspielen in Cannes so erfolgreich, dass Truffaut bald in aller Munde war. Entsprechend hoch waren die Erwartungen von Kritik und Publikum an Truffauts nächsten Film „Schießen Sie auf den Pianisten“, mit dem sich der Filmliebhaber und Filmemacher mit den Traditionen des amerikanischen Kriminalfilms auseinandersetzte.
Inhalt:
Der Kleinganove Chico Saroyan (Albert Rémy) hat zusammen mit seinem Bruder Richard (Jean-Jacques Aslanian) nach einem Raubzug die zwei Gauner Momo (Claude Mansard) und Ernest (Daniel Boulanger) um ihren Anteil betrogen und sucht auf der Flucht Schutz bei seinem Bruder Charlie Koller (Charles Aznavour), der in einer Pariser Nachtbar Klavier spielt. Charlie gelingt es, die Gangster aufzuhalten, doch werden er und die Kellnerin Léna (Marie Dubois), die er auf dem Heimweg begleitet, verfolgt. Charlie eilt nach Hause, bringt seinen kleinen Bruder Fido (Richard Kanayan) zu Bett, und verbringt die Nacht mit der Nachbarin, der Prostituierten Clarisse (Michèle Mercier).
Am Morgen zeigt sich, dass Chicos Verfolger, die jetzt Charlie und Fido im Visier haben, sich nicht so leicht abschütteln lassen.
Léna, die in den schüchternen Charlie verliebt ist, eröffnet ihm, dass sie von seiner Vergangenheit als berühmter Konzertpianist unter seinem richtigen Namen Edouard Saroyan weiß.
Daraufhin vertraut er ihr seine Geschichte an, dass er vor Jahren glücklich mit seiner Frau Thérése (Nicole Berger) verheiratet war und am Anfang einer großen Laufbahn als Musiker stand. Aber ihre Beziehung begann unter Théréses zunehmenden Depressionen zu leiden, schließlich offenbarte sie ihm, dass er den Beginn seiner Karriere nur dem Umstand verdankte, dass sie sich zuvor seinem Impresario Lars Schmeel (Claude Heymann) hingegeben hatte.
Als er sich daraufhin im Affekt von ihr abwandte, nahm sie sich mit dem Sprung aus dem Fenster das Leben, und aus Edouard Saroyan wurde Charlie Koller, der seine Vergangenheit hinter sich zu lassen suchte.
Léna will Charlie helfen, seine Lebenskrise zu überwinden und gemeinsam mit ihr an seine Karriere als Konzertpianist anzuknüpfen. Als sie zusammen dem Wirt der Bar kündigen wollen, kommt es zu einem Handgemenge, bei dem Charlie den Wirt in Notwehr ersticht. Mit Hilfe der Wirtin fliehen sie. Als sie erfahren, dass Fido von den Gangstern entführt wurde und diese Chico und Richard in der heimatlichen Provinz aufsuchen wollen, brechen Charlie und Léna auf, um die Brüder zu warnen und Fido zu retten…
Kritik:
Auch wenn sich Truffaut mit seinem zweiten Film eines Romans von David Goodis („Down There“) annahm, der bereits die Vorlagen für die Film noirs „Wenn die Nacht anbricht“ (1957) und „Die schwarze Natter“ (1947) geliefert hatte, handelt es sich bei „Schießen Sie auf den Pianisten“ nicht um einen klassischen Film noir. Das wird nach der Noir-typischen Eröffnungssequenz mit der Verfolgungsjagd im nächtlichen Paris deutlich, als sich der Verfolgte nach seinem Sturz mit dem Mann unterhält, der ihm wieder auf die Beine geholfen hat.
In dem langen Gespräch über die Liebe und die Ehe nimmt Truffaut nicht nur das anfängliche Tempo aus dem Film und mischt in der Folge munter die Genres. Zwar dient die Flucht vor Chicos und Richards Ganovenfreunden als roter Faden, doch nutzt Truffaut die Ruhepausen immer wieder dazu, sich seinen Lieblingsthemen zuzuwenden, vor allem der Beziehung zwischen Mann und Frau. Der schüchterne Charlie hat es dabei gleich mit drei starken Frauen zu tun, seiner toten Ex-Frau, der selbstbewussten Prostituierten Clarisse und der Kellnerin Léna. Dazu gesellen sich Elemente aus Musical, Melodram und Komödie. Dass die Mischung so gut funktioniert, liegt vor allem an den gut aufgelegten Darstellern, allen voran Charles Aznavour („Die nach Liebe hungern“, „Ganoven rechnen ab“) als zurückhaltender Pianist, dem die Herzen der Frauen zufliegen, was Truffaut in spritzigen Dialogen festhält.
„Schießen Sie auf den Pianisten“ wirkt gewagter und experimenteller als Truffauts Debüt und versteht sich ebenso als eigenwillige Verbeugung vor der Schwarzen Serie als auch als einfühlsame, mit schwarzem Humor durchsetzte Charakterstudie. Zu den Arbeitsbeziehungen, die Truffaut hier etablierte, zählte u.a. die zum Komponisten Georges Delerue.
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