Claires Knie

Mit seinen extrem dialoglastigen Werken zählt Éric Rohmer fraglos zu den eigenwilligsten Vertretern der Nouvelle Vague. Da macht auch „Claires Knie“ (1970) keine Ausnahme, nach „Die Bäckerin von Monceau“ (1962), „Die Karriere von Suzanne“ (1963), „Die Sammlerin“ (1967) und „Meine Nacht bei Maud“ (1969) der fünfte Film in seinem Zyklus „Moralische Erzählungen“, den Arthaus nun erstmals komplett in einer DVD-Box vereint.
Kurz vor seiner Hochzeit verbringt der mittlerweile in Schweden lebende Diplomat Jérôme (Jean-Claude Brialy) die Sommerferien am Lac d’Annecy, wo er sein altes Haus verkaufen will. In seiner Nachbarschaft lebt die alleinstehende Madame Walter (Michèle Montel) mit ihrer fünfzehnjährigen Tochter Laura (Béatrice Romand) und deren erst später eintreffenden Halbschwester Claire (Laurence de Monaghan). Zufällig begegnet Jérôme auch einer alten Freundin, der in Paris ebenfalls alleinlebenden Schriftstellerin Aurora (Aurora Cornu). In den Gesprächen, die sie über die Liebe, die Ehe und die Treue führen, stellt sich schnell heraus, dass Madame Walter und Aurora sehr gut ohne Männer an ihrer Seite leben können, während Jérôme wohl nur deshalb nach sechs Jahren in der Beziehung einer Heirat zustimmt, weil seine Frau als Wissenschaftlerin ebenfalls viel in der Welt unterwegs ist und sich das Paar einander alle Freiheiten zugesteht.
Jérôme gefällt sich in der Rolle des Mannes, der davon überzeugt ist, im Prinzip jede Frau für sich gewinnen zu können. Als er erfährt, dass sich offensichtlich auch die junge Laura in ihn verguckt hat, lässt er sich auch mit ihr auf einen Flirt ein, wandert mit ihr durch die Berge, diskutiert mit ihr über die Möglichkeiten der Liebe und küsst sie schließlich. Es geht ihm allerdings nicht darum, Laura zu verführen. Ihm genügt die Erkenntnis, dass er sie verführen könnte. Als schließlich Lauras Stiefschwester Claire die Szene betritt, sucht Jérôme ihre Nähe. Beim Kirschenpflücken fällt ihm ihr Knie auf der Leiter ins Auge, und fortan ist er von dem Wunsch besessen, es zu berühren. Doch da sie meist ihren Freund temperamentvollen Freund Gilles (Gérard Falconetti) im Schlepptau hat, erweist sich dieses Unterfangen als schwierig …
Obwohl Éric Rohmer auch in „Claires Knie“ ausschweifend davon Gebrauch macht, den Plot seines Films vor allem durch Dialoge voranzutreiben, wirkt der Film bereits viel leichtfüßiger inszeniert als noch das von Diskursen über die Religion und die Liebe geprägte, im Winter spielende und in Schwarz-Weiß gedrehte Drama „Meine Nacht bei Maud“. Dafür sorgt schon die idyllische, sommerliche Kulisse am Lac d’Annecy mit den wild blühenden Gärten und den sattgrünen Wiesen am Fuße der majestätischen Berge.
Es ist aber auch die besondere Konstellation der Figuren, das Zusammentreffen verschiedener Generationen, die unterschiedliche Auffassung über die Liebe und das Funktionieren von Beziehungen, die „Claires Knie“ so unterhaltsam machen. Im Mittelpunkt steht natürlich der selbstverliebte Jérôme, der mit seiner offenherzigen, sympathischen Art allerdings nicht unbedingt den klassischen Jäger-Typen verkörpert. Ähnlich wie für Rohmer selbst besteht die Eroberung einer Frau für Jérôme eher in der intellektuellen Möglichkeit, ihr Herz zu gewinnen. Ein nicht ernst gemeinter Kuss oder die Berührung eines Knies ohne weitere Ambitionen reichen bereits aus, um bei Jérôme das Gefühl hervorzurufen, eine Frau erobert zu haben.
Es macht einfach Spaß, den vollbärtigen Narziss dabei zu beobachten, wie er sich sowohl mit den beiden älteren Frauen als auch den beiden jungen Halbschwestern in leichtem Ton und entspannter Atmosphäre über die Liebe unterhält, wobei auch die jungen Mädchen bereits erstaunlich genaue Vorstellungen zum Thema besitzen. Dieses muntere Geplänkel mit den unverbindlichen Flirts wird durch die luftig-leichte Ferienkulisse wunderbar eingerahmt und macht „Claires Knie“ zu einem der besten Filme von Éric Rohmer.
"Claires Knie" in der IMDb

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