Die Bäckerin von Monceau + Die Karriere von Suzanne

Obwohl Éric Rohmer zehn Jahre vor seinen berühmten Kollegen der Nouvelle Vague geboren wurde, nahm er einen längeren Umweg als Literaturlehrer, Romanautor und Filmkritiker für die legendäre Zeitschrift „Cahiers du Cinéma“, ehe er Truffaut, Chabrol, Godard und Rivette folgte und selbst Filme inszenierte. Nach einigen Kurzfilmen, die zwischen 1950 und 1960 entstanden, legte Rohmer 1962 sein Langfilmdebüt „Im Zeichen des Löwen“ vor und begann dann mit dem sechsteiligen Zyklus „Moralische Erzählungen“, den Arthaus jetzt erstmals komplett auf DVD mit den beiden ersten, bislang unveröffentlichten kürzeren Arbeiten „Die Bäckerin von Monceau“ (1962) und „Die Karriere von Suzanne“ (1963) herausgegeben hat.
In dem gerade mal 22-minütigen Kurzfilm „Die Bäckerin von Monceau“ begegnet ein Jurastudent (Barbet Schroeder) kurz vor seinem Examen bei Spaziergängen durch das Pariser Viertel Carrefour Villiers im 17. Arrondissement von seiner Wohnung zum Essen regelmäßig einer jungen Frau, die er gern näher kennenlernen würde. Ein zufälliger Zusammenstoß auf dem Bürgersteig bringt ihm seinem Ziel näher. Sylvie (Michèle Girardon) scheint interessiert, lehnt eine Einladung in ein Café aber zunächst ab. Allerdings bleibt Sylvie nach diesem ersten Zusammentreffen wie vom Erdboden verschluckt. Um die Chancen auf ein Wiedersehen zu erhöhen, verzichtet der junge Mann auf seine Restaurantbesuche und treibt sich stattdessen auf dem Markt des Viertels herum, bis er es schließlich zur Gewohnheit werden lässt, sich in einer nahegelegenen Bäckerei ein Stück Kuchen herauszuholen. Um sich von seinen Gedanken an Sylvie abzulenken, flirtet er mit der Verkäuferin Jacqueline (Claudine Soubrier) und verabredet sich schließlich mit ihr. Allerdings hat er kein echtes Interesse an ihr, sondern will sie nur für dafür büßen lassen, dass Sylvie aus seinem Leben verschwunden zu sein scheint.
Der immerhin 53 Minuten lange 2. Teil der „Moralischen Erzählungen“, „Die Karriere von Suzanne“, handelt wiederum von einem Studenten, der als Ich-Erzähler fungiert, diesmal von dem 18-jährigen Bertrand (Philippe Beuzen), der in seinem Hotelzimmer für sein Studium der Politikwissenschaften büffelt und sich zur Zerstreuung im gegenüberliegenden Café „Le Luco“ mit seinem besten Freund Guillaume (Christian Charrière) trifft, einem selbsternannten Frauenverführer. Guillaume lädt Suzanne (Catherine Sée), die er ebenfalls im Café kennenlernt und die beim nationalen Tuberkulose-Komitee arbeitet, zu einer Party in der Villa seiner verreisten Mutter ein, doch während sich Suzanne um das leibliche Wohl der Gäste kümmert, interessiert sich Guillaume nur für die irische Studentin Sophie (Diane Wilkinson). Bertrand beobachtet das Verhalten von Guillaume und Suzanne aus der Distanz, freundet sich schließlich sowohl mit Suzanne als auch Sophie an, verfügt aber nicht über die von ihm bewunderten Verführungskünste seines Freundes, der bald schon kein Interesse mehr an der anhänglichen Suzanne hat. Suzanne wiederum findet ihren eigenen Weg zum Glück …
Rohmer hat die ersten beiden Filme seines Zyklus „Moralische Erzählungen“ auf 16mm in Schwarz-Weiß gedreht und stellt jeweils Männer in den Mittelpunkt, die von ihren amourösen Abenteuern, Absichten und Wünschen erzählen. Dabei fungiert in „Die Bäckerin von Monceau“ der spätere Regisseur Bertrand Tavernier („Der Uhrmacher von St. Paul“, „Der Lockvogel“) als Erzähler, der seine Gedanken und Gefühle Sylvie und der Bäckerin gegenüber in einem nahezu ununterbrochenen Monolog darlegt, während in „Die Karriere von Suzanne“ bereits die in späteren Filmen markantere Form der ausgiebigen Dialoge zum Tragen kommt.
Zwar schildert auch hier der Ich-Erzähler Bertrand vornehmlich als Außenstehender seine Eindrücke von den Beziehungen, die um ihn herum ihre besondere Dynamik entwickeln, aber es kommen auch schon die anderen Beteiligten zu Wort, um ihre Ansichten zu verkünden. Die beiden Filme sind bei weitem noch keine Meisterwerke, machen aber deutlich, mit welch minimalen Budget und sehr überschaubarem Ensemble Rohmer es versteht, alltäglich erscheinende Geschichten zu erzählen, ohne mit erhobenen Zeigefinger ihre Beweggründe und Taten zu verurteilen.
Vielmehr präsentiert sich Rohmer als Chronist unterschiedlichster menschlicher Regungen, die seine Figuren stets wortreich erklären und kommentieren. Die „Moralischen Erzählungen“ werden erst vier Jahre später wieder aufgenommen und enthalten noch die vier Filme die „Die Sammlerin“ (1967), „Meine Nacht bei Maud“ (1969), „Claires Knie“ (1970) und „Die Liebe am Nachmittag“ (1972).
"Die Backerin von Monceau" in der IMDb
"Die Karriere von Suzanne" in der IMDb

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