Der Spion, der aus der Kälte kam

Als ehemaliger Mitarbeiter der britischen Geheimdienste MI5 und MI6 weiß Bestseller-Autor John Le Carré wie kaum ein Zweiter, wie man realistische Agentenromane schreibt. Nachdem er seine bekannteste Figur George Smiley in seinem Debütroman „Schatten von gestern“ 1961 eingeführt hatte, war Smiley in dem 1963 veröffentlichten dritten Roman „Der Spion, der aus der Kälte kam“ nur im Hintergrund aktiv, doch Le Carré bescherte es die erste aufsehenerregende Verfilmung eines seiner Werke, die vor allem durch die charismatische Darstellung von Richard Burton und die versierte Inszenierung von Martin Ritt überzeugt.
Der britische Geheimagent Alec Leamas (Richard Burton) ist zu Zeiten des Kalten Krieges in Berlin für alle Geheimdienstaktivitäten seines Landes sowohl im Westen als im Osten der deutschen Metropole zuständig. Nachdem Hans-Dieter Mundt (Peter van Eyck) als ostdeutscher Abwehrchef im Ministerium für Staatssicherheit auch Leamas‘ letzten Agenten Karl Riemeck beim Übergang zum Checkpoint Charlie ausgeschaltet hat, wird Leamas nach England zurückbeordert und offiziell degradiert. Tatsächlich wird sein sozialer Abstieg inszeniert, um Leamas für die Gegenseite interessant zu machen, der er glaubwürdig vermitteln soll, dass Mundt in Wirklichkeit ein britischer Agent sei. Leamus kündigt und nimmt einen einfachen Job in einer Bibliothek an, wo er sich mit seiner kommunistischen Kollegin Nancy Perry (Claire Bloom) anfreundet. Doch die Alkoholsucht macht Leamas unberechenbar. Nachdem er im Rausch einen Ladenbesitzer (James Bonds ‚M‘-Darsteller Bernard Lee) niedergeschlagen hat, wird er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und nach seiner Entlassung wie geplant ein Angebot der feindlichen Seite erhält. In Holland soll der Deal abgewickelt werden. Sollte Leamas brauchbare Informationen über seine Tätigkeit beim britischen Geheimdienst vorlegen können, darf er mit einer neuen Identität und 15.000 britischen Pfund davon träumen, sich ein neues Leben aufzubauen. Als Leamas aber in britischen Zeitungen zur Fahndung ausgeschrieben wird, muss er sich in Ostdeutschland einem Verhör durch Mundts kommunistischen Stellvertreter Fiedler (Oskar Werner) unterziehen, der seinerseits Fiedler zu diskreditieren beabsichtigt. Als Fiedler aus Leamas‘ Aussagen zu Überweisungen der Briten an einen Agenten mit deutschen Namen über Banken in Kopenhagen und Helsinki über genügend Hinweise für eine Anklage gegen Mundt verfügt, muss sich Mundt vor einem geheimen Tribunal verantworten, bei dem Leamas als Zeuge aussagen soll.
Doch als Leamas‘ Freundin Nancy ebenfalls als Zeugin in den Gerichtssaal gezerrt wird, drohen Leamas in diesem unberechenbaren Spiel die Fäden aus der Hand zu gleiten …
Seit seinem hochgelobten Debüt „Ein Mann besiegt die Angst“ (1956) hat Martin Ritt so unterschiedliche Filme wie „Der lange heiße Sommer“, „Die schwarze Orchidee“ (beide 1958) und die beiden Paul-Newman-Western „Der Wildeste unter Tausend“ (1963) und „Man nannte ihn Hombre“ (1967) inszeniert. Mit „Der Spion, der aus der Kälte kam“ gelang Ritt nicht nur eine werkgetreue Verfilmung des Le-Carré-Romans, sondern auch ein realistischer, desillusionierender Blick in die Welt der Spionage, die so gar nichts mit dem pompösen Glanz und der halsbrecherischen Action eines James-Bond-Abenteuers gemein hat. Stattdessen beschreibt er in kontrastreichen, dokumentarisch wirkenden Schwarz-Weiß-Bildern den tristen, aber psychisch extrem belastenden Alltag eines Agenten auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges.
In der allgegenwärtigen Paranoia mit vermeintlich unzähligen Doppelagenten auf beiden Seiten zieht es Alec Leamas vor, keiner Ideologie zu folgen, sondern nur seinen eigenen Interessen. Allerdings bleibt es bis zum Schluss schwer zu durchschauen, worum es Leamas wirklich geht. Richard Burton („Cleopatra“, „Becket“) brilliert als trinkfreudiger Agent, der für seinen Geheimdienst als Köder verheizt wird, um der Gegenseite einen empfindlichen Schlag beizubringen, nachdem diese das britische Agentennetz in Deutschland ausgelöscht hat. Es ist für den Zuschauer nicht leicht zu durchschauen, wer hier welche Absichten verfolgt, aber dieses verwirrende Spiel der Interessen und Identitäten verstärkt nur den Eindruck, dass die einzelnen Agenten nur Schachfiguren in einem ausgeklügelten Spiel der Spionagenetze sind.
Oskar Werner („Fahrenheit 451“) macht seine Sache als ostdeutscher Kontrahent an sich zwar gut, aber da er sich selbst synchronisiert hat, wirkt sein österreichischer Dialekt etwas fehl am Platze. Davon abgesehen bietet „Der Spion, der aus der Kälte kam“ einen interessanten Beitrag zur Diskussion, welche Opfer im Kampf um die Verteidigung politischer Gesinnungen auch vom Einzelnen verlangt und welche moralischen Grenzen dabei verletzt werden. Es sollten noch viele weitere Romane von Le Carré verfilmt werden, so „Dame, König, As, Spion“, „Das Russland-Haus“, „Der Schneider von Panama“, „Der ewige Gärtner“, „A Most Wanted Man“ und „Verräter wie wir“.
"Der Spion, der aus der Kälte kam" in der IMDb

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