Die Sammlerin

Mit seinen ersten beiden Kurzfilmen „Die Bäckerin von Monceau“ (1962) und „Die Karriere von Suzanne“ (1963), die Éric Rohmer in Schwarz-Weiß und im 16-mm-Format drehte und den Anfang des sechsteiligen Zyklus „Moralische Erzählungen“ bildeten, hatte der frühere Literaturlehrer, Romanautor und Filmkritiker bereits die Ansätze der Form seiner Filmsprache gefunden. Mit „Die Sammlerin“ (1967) legte Rohmer vier Jahre danach den nächsten Film in der Reihe seiner moralischen Erzählungen vor, die Arthaus erstmals komplett auf DVD veröffentlicht hat.
Durch einen gemeinsamen Freund bekommen der Kunsthändler Adrien (Patrick Bauchau) und sein Freund Daniel (Daniel Pommereulle) die Möglichkeit, den Sommer in seiner Villa am Mittelmeer zu verbringen. Adrien versucht Abstand von seiner Freundin zu finden, die lieber für einige Wochen nach London geflogen ist, statt ihn zu begleiten, und will die Zeit einfach nur damit verbringen, morgens im Meer zu schwimmen und sich dem dandyhaften Müßiggang zu widmen. Doch als die junge Haydée (Haydée Politoff) Adriens Nachbarzimmer bezieht und ständig einen anderen Liebhaber bei sich hat, wird nicht nur die Freundschaft zwischen Adrien und Daniel auf eine harte Probe gestellt. Beide Männer leugnen, ein tieferes Interesse an Haydée zu hegen, doch als Daniel sich auf die junge Frau einlässt, kommt es zum Streit zwischen den Männern und Daniel reist vorzeitig ab, nachdem er Adrien gegenüber seine Abneigung gegen den amerikanischen Kunstsammler Sam (Seymour Hertzberg) zum Ausdruck gebracht hat.
Sam hat Adrien gerade eine antike Vase abgekauft und scheint auch dessen Plan, eine Galerie zu eröffnen, zu unterstützen. Doch dafür erwartet er, dass Adrien und Haydée die Nacht in seiner Villa verbringen. Adrien reist jedoch schon am Abend ab und wird am nächsten Tag von Haydée im Ungewissen darüber gelassen, ob sie mit Sam geschlafen hat. Adrien kann nicht länger leugnen, dass er von der jungen Frau, deren freizügige Moral er eigentlich verachtet, wider seines Willens fasziniert ist …
Wie schon in „Die Karriere von Suzanne“ bedient sich Rohmer auch in dem Farbfilm „Die Sammlerin“ der doppelten Erzählperspektive, indem er Adrien einerseits aus dem Off seine Gedanken vortragen und dazwischen die Figur im Geschehen selbst im Gespräch mit Daniel, Haydée und Sam zu Wort kommen lässt. Dabei spricht Adrien in den beiden Perspektiven aber nicht unbedingt eine Sprache, was das emotionale wie moralische Dilemma in ihm zum Ausdruck bringt. Kunstvoll bettet Rohmer die Interaktionen seines überschaubaren Ensembles in die sommerlich einladende Kulisse am französischen Mittelmeer ein, stellt die wichtigsten Figuren in kurzen Prologen vor, wobei er Haydée nur dabei zeigt, wie sie im Bikini am Strand entlanggeht, um dann einzelne Partien ihres Körpers in Nahaufnahmen zu zeigen. Dagegen stellt er Daniel in einem philosophischen Diskurs vor, während Adrien mit seiner Freundin und einer weiteren Frau darüber diskutiert, ob man auch hässliche Menschen lieben kann oder ob Schönheit die Grundvoraussetzung dafür darstellt, sich auf einen Menschen überhaupt erst einzulassen.
Haydée scheint das geheimnisvolle Zentrum der Geschichte darzustellen. Ihr Handeln folgt keinen intellektuellen Überlegungen, sondern nur ihrem Instinkt. Sie tut das, wozu sie gerade Lust hat, kommt dabei aber nicht ihrem Traum näher, das zu tun, was sie sich wirklich wünscht. Adrien befindet sich vor allem in dem Dilemma, sich zwischen seiner abwesenden Freundin und der koketten Haydée zu entscheiden, obwohl ihm der Umstand dieser Wahl gar nicht bewusst scheint, schließlich gibt er vor, Haydées freizügiges Verhalten zu verabscheuen.
„Die Sammlerin“ stellt ein sommerlich leichtes Geplänkel zwischen moralisch ganz unterschiedlich verorteten Figuren dar, die nicht davor gefeit sind, entgegen ihrer Vorstellungen Sympathien für Menschen zu empfinden, die ganz anders orientiert sind. Dass der Film dabei so unterhaltsam ausgefallen ist, liegt nicht nur an der bezaubernden Kulisse, sondern ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass Rohmer es den Schauspielern gestattet hat, ihre Dialoge größtenteils zu improvisieren. Zu den „Moralischen Erzählungen“ zählen außerdem „Die Bäckerin von Monceau“ (1962), „Die Karriere von Suzanne“ (1963), „Meine Nacht bei Maud“ (1969), „Claires Knie“ (1970) und „Liebe am Nachmittag“ (1972).
"Die Sammlerin" in der IMDb

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