Der Fall Richard Jewell
Clint Eastwood wird auch im hohen Alter von 90 Jahren nicht müde, großartige Filme zu drehen. Dabei scheinen es ihm in der Vergangenheit unkonventionelle Heldentypen und ihre außergewöhnlichen Geschichten besonders angetan zu haben. In „American Sniper“ (2014) erzählte er die Story eines Navy S.E.A.L. Scharfschützen, der unzähligen Kameraden auf dem Schlachtfeld das Leben gerettet hat, daheim aber den Krieg nicht hinter sich lassen konnte. Und in „Sully“ (2016) spielte Tom Hanks den Piloten eines Passagierflugzeugs, das er nach dem Ausfall der Triebwerke auf dem Hudson ohne Todesfall unter Besatzung und Passagieren notlandete, sich aber vor einem Komitee von Bürokraten verantworten musste. Mit „Der Fall Richard Jewell“ präsentiert Eastwood nun die ebenfalls auf wahren Begebenheiten Geschichte eines Mannes, der durch seinen Bombenfund am Rand der olympischen Spiele von Atlanta 1996 dafür sorgte, dass es nicht mehr Tote und Verletzte zu beklagen gab, aber vom FBI und den Medien als Verdächtiger gebrandmarkt wurde.
Richard Jewell (Paul Walter Hauser) will eigentlich nichts anderes als für Recht und Ordnung zu sorgen, doch wegen seiner korpulenten Gestalt und seines auffälligen Benehmens hat er keine Chance, in den regulären Polizeidienst aufgenommen zu werden. Also schlägt sich der 33-Jährige, der noch bei seiner Mutter Bobi (Kathy Bates) lebt, mit verschiedenen Hilfsjobs durch. Als Bürohelfer lernt er den Anwalt Watson Bryant (Sam Rockwell) kennen, der von Jewells etwas verschrobener, aber grundsätzlich gutmütigen Art berührt ist und ihm zum Übergang für den neuen Job etwas Geld in die Hand drückt. Seinen Job beim Sicherheitsdienst nimmt Jewell aber allzu ernst. Er macht unbefugterweise Verkehrskontrollen und verschafft sich auf dem College-Campus Zutritt zu den Privaträumen der Studenten, wenn er sie beim verbotenen Konsum von Alkohol erwischt. Als dem Direktor die Anhäufung von Jewells Verfehlungen bzw. Amtsanmaßungen bekannt werden, setzt er ihn auf die Straße, wo allerdings schon der nächste Job auf ihn wartet.
Bei den Olympischen Spielen in Atlanta ist er als Sicherheitsbeamter für eine private Wachfirma im Centennial Olympic Park in Atlanta, wo er während eines Konzerts am AT&T Pavillon einen verdächtig aussehenden Army-Rucksack entdeckt und die Polizei alarmiert. Etwa zur gleichen Zeit geht bei der Polizei ein Notruf mit der Warnung ein, dass in einer halben Stunde eine Bombe im Park hochgehe. Tatsächlich bestätigen die herbeigeeilten Cops Jewells Verdacht und lassen die nähere Umgebung räumen. Zwar geht die Bombe dann doch hoch, aber durch Jewells beherztes Eingreifen gibt es weitaus weniger Tote und Verletzte, als wenn die Bombe in ihrer ursprünglichen Lage und ohne die Evakuierung explodiert wäre. Die Medien feiern ihn zunächst als Helden, doch dann wendet sich das Blatt. Als das FBI unter Leitung von Agent Tom Shaw (Jon Hamm) die Ermittlungen übernimmt und durch Jewells früheren Arbeitgeber auf seine seltsame Berufsauffassung hingewiesen wird, entsteht ein Profil, das aus Jewell einen homosexuellen Cop-Hasser macht, der mit Hilfe seines Liebhabers die Bombe gelegt hat. Die ehrgeizige Lokalreporterin Kathy Scruggs (Olivia Wilde) entlockt Shaw diesen Verdacht für ein Sex-Versprechen und sorgt mit ihrer nachfolgenden Titelstory für eine gnadenlose Belagerung der Jewell-Wohnung durch Medien und FBI. Jewell engagiert Bryant als seinen Anwalt, weil er der einzige Mensch sei, der sich nicht über ihn lustig gemacht habe. Während Jewell nach wie vor bereitwillig alles tut, um das FBI bei seinen Ermittlungen zu unterstützen, nimmt Bryant den schweren Kampf gegen das FBI auf …
Kritik:
Clint Eastwood hat „Richard Jewell“ (so der schlichte Originaltitel des Films) nach dem im Februar 1997 in Vanity Fair erschienenen Artikel „American Nightmare: The Ballad of Richard Jewell“ von Marie Brenner inszeniert, in dem die Autorin nicht nur das beispielhafte Verhalten von Richard Jewell während seines Dienstes als Sicherheitsbeamter während der Olympischen Spiele 1996 in Atlanta dokumentiert, sondern auch die 88 Tage, in denen Jewell vom FBI als Hauptverdächtiger gehandelt und von den Medien entsprechend portraitiert wurde.
Eastwood nimmt sich viel Zeit, Richard Jewell als nicht nur gesetzestreuen, sondern Möchtegern-Strafvollzugsbeamten einzuführen, der wegen seines massiven Übergewichts und seiner skurril anmutenden Art belächelt, gehänselt und ausgestoßen wird. Im Grunde genommen passt er durch diese Beschreibung tatsächlich in das typische Profil eines angepassten, aber eigensinnigen Außenseiters, dessen Wut über die fehlende Anerkennung sich irgendwann fürchterlich rächen könnte.
Während dem Zuschauer recht bald klar wird, dass der von Paul Walter Hauser („Tonya“, „BlacKkKlansman“) überzeugend dargestellte Jewell tatsächlich ein ganz unbescholtener, wenn auch etwas naiver Gesetzeshüter ist, zeigt „Richard Jewell“ eindrucksvoll auf, wie der Held durch die Mühlen von Medien und Justiz seines Heldenstatus beraubt und stattdessen sein Leben zur Hölle gemacht wird.
Einziger Schwachpunkt in dieser schnörkellosen und realistisch anmutenden Inszenierung ist das Klischee, dass die ambitionierte Journalistin nur durch Sex an ihre Informationen für ihre explosive Story kommt, aber was FBI und Medien letztlich dem unbescholtenen jungen Mann antun, ist packend und überzeugend dargestellt. Die nachdenklich machende Gesellschaftskritik, die Eastwood hier äußert, wird durch die für ihre Darstellung Oscar-nominierte Kathy Bates („Grüne Tomaten“, „Dolores“) als Richard Jewells durch die Ereignisse völlig verstörte Mutter und Sam Rockwells („Moon“, „Vice“) coole Performance als etwas heruntergekommener Anwalt im Kampf Davids gegen Goliath wunderbar unterstützt.
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