Neues aus der Welt

Seit der britische Filmemacher Paul Greengrass mit „Die Bourne Verschwörung“ (2004) zum Blockbuster-Regisseur aufgestiegen ist, hat er mit „Das Bourne Ultimatum“ (2007) und „Jason Bourne“ (2016) nicht nur die weiteren Filme mit Hauptdarsteller Matt Damon zum Bourne-Franchise realisiert, sondern auch die beiden Abenteuer-Dramen „Green Zone“ (2010) und „Captain Phillips“ (2013). Tom Hanks, der in „Captain Phillips“ den titelgebenden Kapitän des unter US-Flagge fahrenden und 2009 von somalischen Piraten gekaperten Schiffes MV Maersk Alabama spielte, schlüpft auch in Greengrass‘ neuen Film in die Rolle des besonnenen und gütigen Mannes, der in unruhigen Zeiten wie ein Fels in der Brandung wirkt. 
 

Inhalt:

Im Jahr 1870 ist der Amerikanische Bürgerkrieg noch nicht lange vorbei, Texas hat sich der Union noch immer nicht angeschlossen, weil es den Verfassungszusatz zur Abschaffung der Sklaverei nicht akzeptieren will. Die Soldaten der Nordstaaten haben immer noch alle Hände voll zu tun, die aufgebrachten Gemüter der Texaner im Zaum zu halten. In diesen weitgehend unerforschten Regionen des Wilden Westens reist der ehemalige Drucker und Bürgerkriegsveteran Captain Jefferson Kyle Kidd (Tom Hanks) mit einem Packen halbwegs aktueller Zeitungen von Stadt zu Stadt, um gegen einen kleinen Obolus den Bewohnern die wichtigsten Nachrichten über politische Entwicklungen, Epidemien und technologischen Fortschritten vorzulesen sowie die spannendsten Geschichten zu erzählen. Als er von einer Stadt zur nächsten reist, trifft er auf eine umgestürzte Pferdekutsche und entdeckt einen Schwarzen, der an einem Baum von Weißen aufgeknüpft wurde. Schließlich bemerkt Kidd ein Rascheln im Gebüsch und fängt wenig später ein zehnjähriges Mädchen (Helena Zengel) ein, das nicht seine Sprache spricht, aber laut der Papiere, die Kidd bei der Kutsche findet, Johanna heißt und seit dem Tod ihrer deutschstämmigen Familie bei den Kiowa-Indianern aufgewachsen ist. Kidd will das Mädchen in der nächsten Stadt der Bundesbehörde für indianische Angelegenheiten übergeben, doch erfährt er dort, dass der dafür zuständige Beamte erst in drei Monaten aus dem Reservat zurückerwartet wird. 
Kidd beschließt, das Kind selbst in die Obhut der 400 Kilometer entfernt lebenden Verwandten zu übergeben. Obwohl die beiden verschiedene Sprachen sprechen, fasst das traumatisierte Kind langsam Vertrauen zu seinem Beschützer. Doch auf dem Weg nach San Antonio bekommt es das ungleiche Paar immer wieder mit Gesetzlosen zu tun … 

Kritik: 

Als Paul Greengrass den 2016 veröffentlichten Roman „News of the World“ von Paulette Jiles in die Hände bekam, war er sofort von den thematischen Bezügen der Geschichte zur heutigen Zeit gefesselt und schrieb zusammen mit Luke Davies („Lion: Der lange Weg nach Hause“, „Catch-22“) das Drehbuch zu einem Film, der Ende 2020 in die amerikanischen Kinos kam, hierzulande aber direkt von Netflix ausgestrahlt wird. „Neues aus der Welt“ präsentiert sich als ausgedehntes Western-Road-Movie, das zwar die immer wieder mal thematisiert, wie brutal die Weißen gegen Schwarze und Indianer vorgegangen sind und wie die Menschen in den Städten und auf dem Land ganz auf ihr eigenes Wohl bedacht waren, doch die Geschichte fokussiert sich ganz auf die Beziehung zwischen zwei unterschiedlichen, jedoch zwei sehr einsamen Seelen. Dabei hat es die zehnjährige Johanne, die seit ihrer Zeit bei den Indianern Zikade genannt wurde, fraglos das schwerere Los getroffen. Sie hat nicht nur ihre Eltern durch einen gewaltsamen Tod verloren, sondern auch ihre nachfolgende Heimat bei den Indianern verloren, die in Reservat abgeschoben worden sind. Der Sprache der Amerikaner, die sich nun mehr oder weniger um ihr Wohl kümmern, nicht mächtig, reagiert sie verständlicherweise völlig verängstigt und muss sich auch erst mühsam die Sprache, Sitten und Gepflogenheiten der Weißen erarbeiten. 
Die zwölfjährige Helena Zengel, die durch den Film „Systemsprenger“ (2019) auch international auf sich aufmerksam machen konnte, spielt das blonde und strahlend blauäugige Indianermädchen deutscher Abstammung mit einer eindringlichen Mischung aus temperamentvoller Impulsivität und verträumter Abschottung. Sie bildet den perfekten Gegenpart zu Hollywood-Star Tom Hanks („Forrest Gump“, „Sully“), der während seiner Reisen immer wieder auf die brodelnde Stimmung in der texanischen Bevölkerung stößt und dabei auch von ihrem kriminellen Potential überrascht wird. Doch den an sich spannenden gesellschaftspolitischen Hintergrund der Geschichte bildet „Neues aus der Welt“ kaum tiefergehend ab. Stattdessen begleiten Greengrass und der gefeierte Kameramann Dariusz Wolski („Prometheus – Dunkle Zeichen“, „Sicario 2“) die oft beschwerliche Reise durch die texanische Wüstenlandschaft, wobei sie plötzlich aufkommenden Sandstürmen ebenso begegnen müssen wie Gaunern, die das Mädchen für 50 Dollar als Kinder-Prostituierte kaufen wollen. 
Die Geschichte über die Beziehung zwischen Kidd und Johanna ist wunderbar einfühlsam erzählt, bekommt aber über die zwei Stunden Spielzeit auch Längen, da Greengrass es versäumt, den Road Trip abwechslungsreich zu gestalten und die gesellschaftlichen Hintergründe, die ihn an der Romanvorlage zu fasziniert haben, auch entsprechend auszuarbeiten. 
So bleibt „Neues aus der Welt“ ein toll gespielter, wunderbar fotografierter und exzellent von James Newton Howard („Wyatt Earp“, „Ein verborgenes Leben“) vertonter Western, der etwas mehr Tiefgang, Spannung und Abwechslung hätte vertragen können.  

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