Die Spur des Fremden
Mit dem Mystery-Drama „Citizen Kane“ (1941) schuf Hauptdarsteller, Co-Drehbuchautor und Regisseur Orson Welles ein unvergessliches Meisterwerk, an dem sich alle seine nachfolgenden Filme messen lassen mussten. Nach dem romantischen Drama „Der Glanz des Hauses Amberson“ (1942) und dem Film noir „Von Agenten gejagt“ (1943) entstand 1946 mit „Die Spur des Fremden“ ein weiterer Noir-Krimi, der massiv gekürzt in die Kinos kam und den Welles für einen seiner schlechtesten Filme hielt, kommerziell aber sein erfolgreichster wurde.
Inhalt:
Um dem deutschen Wissenschaftler Franz Kindler (Orson Welles) aufzuspüren, der als Erfinder der Gaskammern in den Konzentrationslagern der Nazis gilt, beschließt die Alliierten Kriegsverbrecherkommission unter Leitung des US-Amerikaners Wilson (Edward G. Robinson), Kindlers ehemaligen engen Vertrauten Konrad Meinike (Konstantin Shayne) die Flucht aus dem Gefängnis zu ermöglichen, damit dieser sie zu Kindler führt. Meinike gelingt es, Kindlers Flucht ins Exil über Südamerika bis in die US-amerikanische Kleinstadt Harper in Connecticut zurückzuverfolgen, wo Kindler unter dem Namen Charles Rankin an der örtlichen Universität als Professor für Geschichte tätig ist und gerade dabei ist, seine Tarnung durch die Heirat mit Mary Longstreet (Loretta Young), der Tochter des Richters, zu vervollkommnen. Doch Kindler ist alles andere als erfreut, dass ihn Meinike gefolgt ist, denn der wird wiederum von Wilson verfolgt.
Zwar kann er seinen Verfolger in der Turnhalle außer Gefecht setzen, aber getötet hat er ihn nicht, wie er Kindler später versichert. Um alle Spuren zu beseitigen, bringt Kindler nicht nur Meinike im Wald um, sondern vergiftet sogar den Hund seiner Frau, nachdem dieser die Leiche erschnuppert hatte. Wilson gibt sich als Antiquitätenhändler aus und quartiert sich in einer Pension ein. Als er von Richter Longstreet zum Abendessen eingeladen wird und dabei dessen Schwiegersohn Rankin kennenlernt, identifiziert Wilson bei einer Debatte über die Situation in Nachkriegsdeutschland Rankin als den gesuchten Nazi-Verbrecher. Als Reinikes Leiche im Wald entdeckt wird, zieht sich die Schlinge um Kindlers Hals immer weiter zu …
Kritik:
Direkt nach dem Krieg konnte Orson Welles seinen Film „The Stranger“ nicht annähernd so umsetzen, wie er es geplant hatte. Da gut eine halbe Stunde der Suche des streng religiös gewordenen Meinike in Südamerika weggeschnitten wurde, wirkt der Anfang von „Die Spur des Fremden“ recht holperig inszeniert. Aber mit der Ankunft von Meinike und Wilson in dem beschaulichen Städtchen Harper entwickelt sich recht zügig die Geschichte um einen bislang geschickt untergetauchten Kriegsverbrecher und seinen Verfolger.
Die Verbrechen, die Kindler für die Nazis begangen hat, stehen dabei in deutlichem Kontrast vor allem zu der liebreizenden und gutmütigen Braut Mary, aber auch zu dem harmonischen Treiben in der Kleinstadt, wo Mr. Potter (Billy House) einen Selbstbedienungsladen führt und mit seinen Gästen immer wieder gern eine Partie Dame spielt. Wilson nutzt diese geselligen Treffen dazu, an Informationen über den Rankin zu kommen.
Welles inszenierte „Die Spur des Fremden“ als durchaus spannenden Thriller, dessen Kriegsverbrecher-Thematik aber nicht weiter ausgeführt wird und nur als Aufhänger für Wilsons Jagd nach Kindler dient, der auch ein ganz gewöhnlicher Verbrecher sein könnte. Es ist jedenfalls eine schöne Abwechslung, dass Edward G. Robinson („Gangster in Key Largo“, „Der kleine Caesar“) mal nicht in der Rolle des Gangsters, sondern des aufrichtigen Detektivs zu sehen ist, der der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen will. Dabei ist die Geschichte nicht besonders originell. Erst das Finale im Kirchturm sorgt für echte Spannung in einem Film noir, der in ansehnlichem Schwarzweiß fotografiert und von allen Beteiligten gut gespielt ist, aber keinen nachhaltigen Eindruck hinterlässt und damit tatsächlich zu den schwächeren Werken von und mit Orson Welles zählt.
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