Sie werden mich lieben, wenn ich tot bin

Obwohl Orson Welles (1915-1985) fraglos zu den berühmtesten Filmemachern zählt, ist seine Werksbiografie vor allem auch eine Geschichte des Scheiterns. Seit seinem Durchbruch mit „Citizen Kane“ (1941), den viele nach wie vor für den größten Film aller Zeiten halten, hatte Welles schon mit seinem nächsten Film – „Der Glanz des Hauses Amberson“ (1943) – fortan damit zu kämpfen, dass die Filmstudios Änderungen an Welles‘ Werken vornahm, bis er Ende der 1940er Jahre entnervt und enttäuscht Hollywood in Richtung verließ. 1970 kehrte er zurück, um mit „The Other Side of the Wind“ sein Comeback zu inszenieren – doch bis zu seinem Tod im Jahr 1985 wurde der Film – wie schon zuvor „The Deep“ oder „Don Quixote“ – nicht fertiggestellt. Morgan Neville, der mit einem Oscar für die Dokumentation „Twenty Feet from Stardom“ (2013) ausgezeichnet wurde, erzählt in „Sie werden mich lieben, wenn ich tot bin“ (2018) die Entstehungsgeschichte und Hintergründe von „The Other Side of the Wind“, den Netflix 2018 nach dem Erwerb der Filmrechte fertigstellen ließ. 

Inhalt:

Nachdem Orson Welles nach über zwanzigjährigem Exil in Europa nach Hollywood zurückkehrt, beginnt er 1970, an seinem autobiografisch geprägten Film „The Other Side of the Wind“ zu arbeiten, wofür er sich Geld aus teils dubiosen Quellen wie dem Schah-Regime aus dem Iran besorgt. Welles ließ den von ihm bewunderten und mit ihm befreundeten Schauspieler/Regisseur John Huston die Hauptrolle des Regisseurs Jake Hannaford spielen, der seinen 70. Geburtstag dazu nutzen will, einer Schar von Filmkritikern und Cineasten seinen Film „The Other Side of the Wind“, soweit er denn schon fertiggestellt ist, vorzustellen. Dass der Film tatsächlich beendet werden kann, steht allerdings in den Sternen. Der Hauptdarsteller seines Films ist nämlich vom Set geflüchtet und seitdem nicht wieder aufgetaucht, der Geldfluss aus dem Iran ist gestoppt, alternative Finanziers nicht interessiert, nicht mal Hannafords junger Freund und Kollege Brooks Otterlake.  
Morgan Neville geht in seinem Dokumentarfilm „Sie werden mich lieben, wenn ich tot bin“ den Hintergründen einer Filmproduktion nach, die 1970 begann und sich zunächst bis 1976 hinzog, da Welles zwischenzeitlich immer wieder Engagements als Schauspieler annehmen musste, um den Film weiter finanzieren zu können. Die Dokumentation zeigt schlüssig auf, wie Welles mit seinem geplanten Comeback-Film die Anerkennung zurückgewinnen wollte, die Hollywood ihm nach dem Erfolg von „Citizen Kane“ konsequent versagt hatte. Insofern gestaltete sich „The Other Side of the Wind“ als sehr persönliche Abrechnung mit Hollywood, auch wenn er selbst jeden autobiografischen Zug negierte. Der gleichnamige Film-im-Film präsentierte sich für Welles‘ Verhältnisse ungewöhnlich freizügig, mit seiner Geliebten Oja Kodar als geheimnisvolle, meist gänzlich nackte Protagonistin, die ihren jungen Verehrer vor allem während einer Autofahrt im Regen genüsslich wie eine Gottesanbeterin vernascht. Neville hat etliche Beteiligte an „The Other Side of the Wind“ ihre Erinnerungen an der Produktion zu Wort kommen lassen, so Welles‘ langjährigen Weggefährten Gary Graver als seinen Kameramann und vor allem Peter Bogdanovich, der ein ähnliches Schicksal wie Orson Welles erleiden musste, als er früh mit Filmen wie „Die letzte Vorstellung“, „Is‘ was, Doc?“ und „Paper Moon“ zu Hollywoods neuem Wunderkind aufstieg und dann einen ähnlichen Einbruch erleben musste wie Welles. Der Film macht deutlich, wie verraten sich Welles von Bogdanovich gefühlt hatte, ohne festmachen zu können, woran die Freundschaft zwischen den beiden zerbrochen war. In Hannafords „The Other Side of the Wind“ war es vor allem die finanzielle Unterstützung, die der auch von Bogdanovich gespielte Otterlake dem Regisseur versagte, was zum Bruch führte. 
Die Vielzahl der Erinnerungen der an „The Other Side of the Wind“ beteiligten Filmschaffenden, aber auch die der persönlichen Weggefährten von Orson Welles machen „Sie werden mich lieben, wenn ich tot bin“ zu einer umfassenden Aufarbeitung der über die Jahre so schwierigen Produktion von „The Other Side of the Wind“. Letztlich reiht sich Welles‘ letzter Film, den er drei Jahre lang versucht hatte, in Bogdanovichs Haus zu Ende zu schneiden, in die Reihe vieler seiner Werke ein, die am Ende nicht so geworden sind, wie Welles sich das vorgestellt hätte. Er war – und das macht die ebenso informative wie unterhaltsame Dokumentation sehr deutlich – eben auch ein Mann, dem es schwer fiel, sich von seinem Werk zu trennen.  
Neville, der den schottischen Schauspieler Alan Cumming als Erzähler auftreten lässt, der die einzelnen Elemente zusammenfügt, hat mit „Sie werden mich lieben, wenn ich tot bin“ nicht nur die Entstehung eines eindringlichen Testaments dokumentiert, sondern bringt dem Publikum mit vielen interessanten Archivaufnahmen auch den Künstler und Menschen Orson Welles näher. Wer „The Other Side of the Wind“ gesehen hat, kommt zum besseren Verständnis an dieser fesselnden Dokumentation kaum vorbei.  

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