Der Mann mit der Narbe
Der im damals österreich-ungarischen Triest geborene Paul Henreid spielte an der Seite von Heinz Rühmann in „Eva“ (1935), ehe er nach Hollywood ging und als Victor Laszlo in „Casablanca“ (1942) dort seinen Durchbruch feierte. 1948 stand er für den Film noir „Der Mann mit der Narbe“ auch erstmals (ohne in den Credits erwähnt zu werden) hinter der Kamera, doch eindrucksvoller fällt ohnehin seine Doppelrolle als Psychiater und gewitzter Ganove aus.
Der hochintelligente John Muller (Paul Henreid) hätte ein erfolgreicher Psychoanalytiker werden können, geriet nach dem Psychologiestudium aber auf die schiefe Bahn, ohne für seine Betrügereien strafrechtlich belangt zu werden. Schließlich brachte ihm der Betrug mit Wertpapieren doch eine Haftstrafe ein. Mit seiner Entlassung aus dem Gefängnis bekommt er vom Anstaltsleiter eine Empfehlung für eine einfache Vertriebstätigkeit bei der Meickle John Company mit auf den Weg, doch scheint der Gefängnisdirektor Muller gut genug zu kennen, dass er ihn bald wieder in seiner Anstalt zu begrüßen erwartet. Muller wird von seinem alten Kumpel Marcy (Herbert Rudley) vor den Gefängnistoren abgeholt und in eine kleine Mietwohnung gebracht, wo ihn bald auch seine früheren Weggefährten Big Boy (Henry Brandon), Al (Bud Wolfe) und Rosie (Robert Ben Ali) begrüßen.
Muller hat für die langweiligen, schlecht bezahlten Jobs der Männer nur Verachtung übrig und versucht sie, für den Überfall auf das illegale Spielcasino des bekannten Gangsters Rocky Stansyck (Thomas Browne Henry) zu begeistern. Doch der Überfall läuft schief. Marcy und Muller können zwar mit der Beute von 60.000 Dollar fliehen, doch Stansycks Männer stellen die übrigen Bandenmitglieder und erfahren so, dass Muller der Kopf der Aktion gewesen war. Auf der Flucht vor den rachsüchtigen Gangstern zieht es Marcy nach Mexiko, während Muller nach Los Angeles geht, wo sein Bruder Frederick (Eduard Franz) lebt und wo er nun doch den ihm vermittelten Job annehmen muss. Als ihm bei einem Botengang ein Mann folgt, der sich als Zahnarzt vorstellt und in Muller einen Mann zu erkennen glaubte, der seinem Praxisnachbarn, dem Psychoanalytiker Dr. Bartok (ebenfalls Paul Henreid) zum Verwechseln ähnlich zu sehen scheint, ist Muller neugierig geworden und stattet der Praxis seines offensichtlichen Doppelgängers einen Besuch ab. Im verlassenen Büro wird er von Bartoks Sekretärin Evelyn Hahn (Joan Bennett) überrascht. Bevor sie merkt, dass es sich um den Mann nicht um ihren Chef handelt, hat sie ihn auch schon geküsst. Tatsächlich sehen sich Muller und Bartok offenbar zum Verwechseln ähnlich. Einzig eine Narbe auf Bartoks Wange lässt die beiden Männer voneinander unterscheiden. Muller erfährt von seinem Bruder, dass Marcy in Mexiko ermordet wurde und dass Stansycks Killer auch ihm dicht auf den Fersen seien. Da plant Muller, Bartok zu ermorden und für die perfekte Tarnung seine Rolle als Psychoanalytiker zu übernehmen …
Kritik:
Der ungarische Filmemacher Steve Sekely („Die Rache der schwarzen Maske“, „Blumen des Schreckens“) hat mit „Der Mann mit der Narbe“ den Roman „Hollow Triumph“ (so auch der Originaltitel des Films) von Murray Forbes als 80-minütigen Film noir inszeniert, der zwar unter einem etwas krude zusammengeschusterten Plot leidet, aber ein rasantes Tempo vorlegt, das die Logiklöcher in der Story gut zu verhüllen versteht. Der obligatorische Rückfall eines ehemaligen Häftlings ist dabei ebenso wenig originell wie die Jagd nach des beraubten Gangsters nach dem Drahtzieher dieses frechen Coups, aber die Art und Weise, wie Paul Henreid als John Muller zwischen gewöhnlichen 9-to-5-Jobs und seinen Plänen zu einem besseren Leben wechselt und dabei seine Identität so gut wie möglich verschleiern muss, ist schon packend umgesetzt.
Seleky und sein Kameramann John Alton („Die Brüder Karamasov“, „Der Herr der Unterwelt“) finden immer wieder eindringliche Bilder, um das Leben eines Normalbürgers zu diskreditieren, wenn Muller etwa morgens um 7 Uhr den Wecker ausstellt und umkippt, wenn Stempelkarten die ewige Tretmühle eines langweiligen Arbeitsalltags dokumentieren, der am Ende 35 Dollar Wochenlohn einbringt. Wie sich Muller in seine frühere Rolle des (wenn auch illegal praktizierenden) Psychoanalytikers zurückfindet, sein Wissen durch das Lesen von Standardwerken und dem Durcharbeiten von Bartoks Patientenakten auf den Stand bringt, ist das genauso unterhaltsam inszeniert wie die ungewöhnliche Romanze zwischen Muller und Evelyn.
Während Drehbuch und Inszenierung durchaus ihre Schwächen aufweisen, überzeugen Henreid und Joan Bennett („Straße der Versuchung“, „Gefährliche Begegnung“) als teils pragmatisch, teils romantisch verbundenes Paar und verleihen dem ungewöhnlichen Film noir seinen eigentlichen Unterhaltungswert.
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