Berührungen
Ingmar Bergman (1918-2007) hat sich mit Meisterwerken wie „Die Zeit mit Monika“ (1953), „Das Lächeln einer Sommernacht“ (1955), „Das siebente Siegel“ (1957) und „Licht im Winter“ (1963) zu einem ebenso produktiven wie einzigartigen Filmemacher etabliert, der stets die volle Kontrolle über seine Werke bewahren konnte. Das trifft auch auf seine erste, für ABC Pictures entstandene englischsprachige Produktion „Berührungen“ zu, dessen Ensemble neben den vertrauten Bergman-Gesichtern Bibi Andersson und Max von Sydow auch den US-amerikanischen Schauspieler Elliott Gold präsentiert.
Als Karin (Bibi Andersson) im Krankenhaus Abschied von ihrer gerade verstorbenen Mutter nimmt, lernt sie kurz einen Mann kennen, den ihr Mann, der gut situierte Arzt Andreas Vergerus (Max von Sydow) wenig später zum Abendessen nach Hause einlädt. David Kovac (Elliott Gould) ist ein Nachkomme von aus Nazideutschland geflohenen Juden und in der Nähe der kleinen ländlichen schwedischen Gemeinde an der Restaurierung einer Kirche beteiligt, bei der überraschenderweise auch eine hölzerne Marien-Statue freigelegt worden ist.
David nutzt die zweite Begegnung mit Karin, um ihr zu gestehen, dass er sich schon auf den ersten Blick im Krankenhaus in sie verliebt habe. Karin weiß zunächst nicht, wie sie darauf reagieren soll. Schließlich ist sie seit fünfzehn Jahren scheinbar glücklich mit Andreas verheiratet, lebt mit ihm und ihren zwei gemeinsamen Kindern auf dem weitläufigen Anwesen, das Andreas von seinen Eltern geerbt hat. Doch David, der so ganz anders als Andreas ist, fasziniert sie, und so lässt sie sich auf eine Affäre mit ihm ein, leidet aber auch unter seinen unerklärlichen Ausbrüchen von Niedergeschlagenheit und Gewalt. Während Karin nach außen hin weiterhin die gute Ehefrau und Mutter spielt, nutzt sie jede Gelegenheit, David in seiner kleinen Wohnung zu besuchen, doch verhält sich ihr Geliebter immer wieder sehr distanziert.
Als David plötzlich ohne ein Wort nach London zurückkehrt und ihre Beziehung offenbar beendet hat, will sie ihn dort zur Rede stellen. Doch Andreas, der mittlerweile durch die Bewohner des Dorfes von der Affäre seiner Frau erfahren hat, stellt Karin ein Ultimatum. Sollte sie tatsächlich nach London fahren, brauche sie nicht mehr zurückzukehren …
Kritik:
Mit seinem 35. Spielfilm verarbeitete Bergman vertraute Themen mit ihm meist vertrauten Personen vor und hinter der Kamera. Im Herbst 1970 in Visby auf der schwedischen Insel Gotland und in London gedreht, erzählt der schwedische Filmemacher die Geschichte einer Frau, die sich nach 15 Jahren Ehe mit einem wohlsituierten Arzt auf eine Affäre mit einem ebenso gefühlvollen wie unbeherrschten Archäologen einlässt. Bergman und sein Kameramann Sven Nykvist finden für die beiden unterschiedlichen Lebenswelten der Männer entsprechend dazugehörige Bilder.
Während die gutbürgerliche Welt der Arzt-Familie in hellen Farben erstrahlt, Geborgenheit und Weite ausstrahlt, sind die Szenen in Davids kleiner Wohnung stets dunkel gehalten. Hier verbirgt schamhafte Karin nicht nur ihren nackten Körper vor ihrem Geliebten, sondern gleichsam die Affäre vor den Blicken der Öffentlichkeit. Die düstere Atmosphäre von Davids Refugium steht allerdings auch gleichsam für Davids Sprachlosigkeit, an der Karin zunehmend verzweifelt. Mehr noch als die Hell-Dunkel-Kontraste und die herbstlichen Farben steht die fehlende Kommunikationsfähigkeit der Protagonisten im Mittelpunkt von „Berührungen“. So wie David nicht in der Lage ist, Karin gegenüber seine Gefühle zu artikulieren, verschanzt sie sich selbst ihrem Mann gegenüber, sobald er sie danach fragt, ob etwas nicht in Ordnung bei ihr sei. Allerdings ist auch Andreas mehr mit seiner Arbeit beschäftigt, als sich mit Karin ernsthaft auseinanderzusetzen.
So sehr sich Karin auch danach sehnt, eine liebevolle Beziehung zu führen, scheitert sie doch sowohl an der vermeintlichen Gefühlskälte ihres Mannes als auch an der Mauer, die David um sich herum errichtet, wobei er nur seine Wut unbeherrscht zum Ausdruck kommen lässt.
„Berührungen“ ist sicher nicht Bergmans bester Film, aber ein Drama, das von der symbolträchtigen Kameraarbeit und den hervorragenden Schauspielern getragen wird.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen